Stiefkind-Adoption.

Kindershirt der LesMamas (ungebügelt:-))

Dies hier ist ein Service-Beitrag für alle, die es interessiert, wie so eine “Stiefkind-Adoption” genau abläuft. Ich habe ja bereits darüber geschrieben, wie es zur Gründung unserer Regenbogenfamilie kam und hier auch schon darauf hingewiesen, dass die Rechtslage für uns als zwei Mütter weiterhin sehr unbefriedigend ist. Eine Reform des Abstammungsrechts ist mittlerweile immerhin in Planung1, aber bis es ein neues Gesetz gibt, wird es sicherlich noch dauern.

Vielleicht ist es also für manche interessant oder hilfreich, zu lesen, wie das Ganze bei uns ablief:

1. Rechtliche Beratung / Elternvereinbarung
Sicher kein Muss, für uns aber wichtig war die Vereinbarung, die man mit dem Samenspender2 schließt, wenn dieser nicht anonym ist. Das kann man schon in der Schwangerschaft machen. Es ist umstritten, wie es mit der rechtlichen Verbindlichkeit eines solchen Dokuments aussieht, aber klar ist auch, dass es besser als nichts ist. Es lag uns daran, dass wir Punkte wie den Verzicht auf das Sorgerecht, aber auch eine Vereinbarung bezüglich eines Umgangsrechts im Streitfall schriftlich festhielten.

Unterlagen & Kosten:
Leider zu spät stellten wir fest, dass es beim LSVD3 tolle Mustervorlagen für eine solche Vereinbarung gibt. Da hätten wir uns wohl im Grunde auch das Geld für die Rechtsanwältin (stolze 725€) sparen können, wenn wir uns hier fundiert eingelesen hätten. Dazu kamen noch die Kosten für das Notariat, das waren knapp 200€.

2. Antrag:
Frühestens 8 Wochen nach der Geburt kann die nicht-leibliche Mutter die Adoption beantragen. Das haben wir auch sofort gemacht, bei einer Notarin, die uns hierfür von der Anwältin empfohlen worden war, bei der wir die Vereinbarung mit unserem Spender aufgesetzt hatten.

Unterlagen & Kosten:
Ehe- und Geburtsurkunden (bzw. beglaubigte Abschriften davon) werden vom Gericht nicht benötigt (hierfür haben wir 23€ umsonst bezahlt). Vielmehr wird eine Abschrift aus dem Ehe- und Geburtenregister verlangt, die man kostenpflichtig online beim Standesamt / Urkundenstelle bestellen kann (20€). Diesbezüglich wurden wir von unserem Notariat falsch informiert, bei Gericht wurde uns gesagt, dass das oft passiert. Geburts- und Eheurkunde reichen aber nicht aus, man kann ja mitterweile geschieden oder verstorben sein.
Hier kann man den Prozess nochmal um ein paar Wochen beschleunigen, wenn man die Abschriften schon parat hat.
Der Antrag geht übers Notariat ans Gericht, wir haben hierfür 83€ bezahlt.

3. Jugendamt
Bereits 7 Wochen nach Antragstellung erhielten wir Post vom Jugendamt. Wie wir schon wussten, muss die adoptierende Mutter einen Lebensbericht schreiben. Dank des Austauschs mit anderen über die Facebookgruppe des Regenbogenfamilienzentrums wussten wir in etwa, was da gewünscht war. Die Sachbearbeiterin vom Jugendamt bestätigte am Telefon, dass ein Umfang von etwa 1-2 Seiten erwartet wird. Bei uns waren es dann 2,5 Seiten – wir schreiben eben gern. Wir haben allerdings keinen 10-seitigen Bericht mit Fotos geschrieben, den wir mit Kaffee beduftet haben – auch von dieser charmanten Idee haben wir in der Facebookgruppe gehört. So oder so kann man auch diesen Bericht schon vorbereiten und so noch einmal Zeit sparen.

Auszug aus dem Schreiben des Jugendamts

Wenn der Lebensbericht aussagekräftig genug ist, muss die annehmende Mutter nicht noch im Jugendamt vorsprechen, sondern es wird gleich ein Termin zum Hausbesuch ausgemacht. Der Besuch fand bei uns ziemlich genau 5 Monate nach Geburt statt und war ein sehr angenehmes Ereignis, obwohl wir vorher schon sehr nervös waren (und die Wohnung nie so aufgeräumt und sauber wie an diesem Tag). Die nette Dame vom Amt saß hier bei Tee und Keksen, arbeitete ihren Fragebogen ab, und versicherte uns, dass dies ihre Lieblingstermine seien, da es ja immer um absolute Wunschkinder ginge. Am Schluss war sie traurig, dass das Baby eingeschlafen war, sie hätte sich ja noch gern verabschiedet… und betonte, dass auch sie sich wünschte, die Rechtslage würde sich ändern. Auch wenn sie diese Art von Terminen dann vermissen würde.
Sie hatte dann vier Wochen Zeit, ihrer Gruppenleitung einen Bericht vorzulegen, der dann ans Gericht ging. Dieses hat wiederum 4 Wochen zur Bearbeitung.

Unterlagen & Kosten:
Die nicht-leibliche Mutter muss den ca. 2-seitigen Lebensbericht verfassen. Das Jugendamt bekommt des Weiteren die Erlaubnis, Auskünfte über die Annehmende einzuholen. So muss z.B. das Einkommen der vergangenen 12 Monate nachgewiesen werden.
Außerdem braucht man eine erweiterte Meldebescheinigung sowohl von der Annehmenden als auch vom Anzunehmenden.
Kosten: 5€ pro Dokument. Auch dies kann man bereits vorab beantragen, wenn man Zeit sparen will.

4. Gerichtstermin
Bei uns ging der komplette Vorgang wirklich schnell – unser Sohn war noch keine 7 Monate alt, als wir den Anhörungstermin beim Amtsgericht hatten. Wir stellten uns das sehr förmlich vor, doch es waren nur 5 Minuten Smalltalk im Büro des Richters, der uns sofort versicherte, dass er uns die Adoption schriftlich bestätigen würde. Auch er drückte seine Hoffnung auf die Änderung des Abstammungsrechts aus und war uns sehr wohlgesonnen.

Unterlagen & Kosten
Die annehmende Mutter muss mit dem Kind vor Gericht erscheinen und sich natürlich ausweisen.
Kosten tut das nichts, außer Zeit.

5. Adoptionsbeschluss
Fun fact: Der Beschluss wurde uns exakt an dem Tag zugesandt, an dem unser Sohn 7 Monate alt wurde. Hiermit ist es dann amtlich und rechtswirksam.

Unterlagen & Kosten
Kosten entstehen keine, allerdings gibt es natürlich Folgekosten:
wir müssen neue Geburtsurkunden (12€ / Stück) beantragen, in der wir nun beide als Eltern stehen, außerdem ändert sich in unserem Falle der Nachname unseres Sohnes, sodass wir auch einen neuen Kinderreisepass (13€) brauchen.

Resümee:
Der Vorgang ist unnötig und belastend (und durchaus auch kostenintensiv) für die ganze Familie – für das Kind ist es schließlich unbestritten nur von Vorteil, wenn es statt nur einem Elternteil von Geburt an zwei hat. Noch dazu ändert sich an der Lebenssituation ja nichts, egal ob mit oder ohne Adoption.
Des Weiteren ist es höchst kritisch zu sehen, dass man in dem Prozess private/intime Details in solchem Umfang preisgeben muss. Welches heterosexuelle Paar, das ein Kind bekommt, muss dem Staat solche Einblicke in das Privatleben gewähren?
Hier in München wird einem jedoch immerhin mit viel Wohlwollen und Akzeptanz begegnet, das war eine schöne Erfahrung – außerdem ging es schneller als man uns prophezeit hatte. Und nun sind wir drei auch ganz offiziell das, was wir schon immer waren: eine Familie!

  1. https://www.spiegel.de/politik/deutschland/katarina-barley-will-lesbischen-paaren-mit-mutterschaft-ermoeglichen-a-1257749.html
  2. In unserem Fall ein guter Freund von uns.
  3. https://www.lsvd.de/recht/ratgeber/adoption.html
Kerstin Ott – Regenbogenfarben (musikalisch nicht mein Geschmack, aber sehr passend!)

Gerechtigkeit.

Cover Zeitschrift Was ist eine gerechte Gesellschaft

Ich habe ein Faible für diese “Buch- und Presse”-Läden an Bahnhöfen und Flughäfen. Genauso, wie man automatisch immer viel zu viel Brotzeit auf eine Reise mitnimmt, packe ich nämlich auch immer viel zu viel Lesestoff ein. Die Realität sieht hingegen oft so aus, dass ich im Zug/Flugzeug viel schlafe oder einfach nur aus dem Fenster schaue, oder, noch viel doofer, viel Zeit auf dem Handy verdaddle. Aber mein ideales Selbstbild ist es eben, die Reisezeit zu nutzen, um interessante Bücher und Zeitschriften zu lesen – oder endlich mal die Tageszeitung von vorn bis hinten, inklusive Magazin.

Kürzlich war ich jedenfalls mal wieder in so einem Zeitschriftenladen und habe mir zum ersten Mal das “Philosophie-Magazin” gekauft (nein, nicht die BUNTE, denn auch hier habe ich schließlich einen hohen Anspruch an mich selbst.. ;-)). Der Titel hat mich angesprochen: “Was ist eine gerechte Gesellschaft?” und als ich dann feststellte, dass sogar ein Persönlichkeitstest drin ist, wusste ich, die 6,90€ sind gut investiert! Persönlichkeitstests habe ich schon zu Bravo- und Popcorn-Zeiten geliebt.

Das Thema Gerechtigkeit ist schon immer ein Lebensthema von mir, wenn man so will – diese für alle Menschen herzustellen, ist schließlich die größte Herausforderung, vor der Gesellschaften stehen, und schon immer frage ich mich, wie man im Kleinen dazu beitragen kann. Daher fand ich den Leitartikel “Was ist fair?” über John Rawls’ Philosophie und die Kritik dazu besonders interessant. Dass sich dieser für das Thema Gerechtigkeit interessierte, ist mit Blick auf seine Biographie kaum verwunderlich. Als Kind erkrankte er erst an Diphterie und steckte seinen jüngeren Bruder an, der daran starb. Ein Jahr später bekam er eine Lungenentzündung, sein anderer jüngerer Bruder steckte sich an und starb ebenfalls. Puh.

Rawls’ Prinzip für Gerechtigkeit ist der “Schleier des Nichtwissens”, welchen wir alle anlegen sollten: So zu tun, als wüsste man nichts über die eigene Stellung in der Gesellschaft – nichts über den eigenen Status, Ethnie, Religion, Gesundheit/Krankheit, Alter, Intelligenz, Herkunft, usw… Unweigerlich würde dies dazu führen, dass uns gesellschaftlich schlechter gestellte Menschen schützenswert erscheinen – schließlich kann es sein, dass wir selbst dieser Gruppe angehören. Spannend! Und logisch.

Gesellschaftliche Gerechtigkeit ist natürlich schon eine große Nummer. Ich habe aber in letzter Zeit auch viel über die Gerechtigkeit im Kleinen, in den zwischenmenschlichen Beziehungen nachgedacht.
Gerade an einer Stelle bin ich nicht zufrieden mit mir selbst. In der Theorie würde ich es nämlich natürlich immer befürworten, dass sich Paare die Kinderbetreuung/-erziehung gerecht, also paritätisch, aufteilen. In der Praxis leben wir es aber im Moment (also im ersten Lebensjahr unseres Sohnes) nicht so. Das hat zwar auch damit zu tun, dass es sich aus beruflichen Gründen gerade nicht anders handhaben lässt. Aber ich muss gestehen, dass ich auch zu Beginn der Schwangerschaft ganz egoistisch für mich beschloss, ein Jahr aussetzen zu wollen. In dieser Zeit fühlten sich viele Leute (meist Frauen und meist ungefragt), dazu berufen, mir dazu zu raten, doch mindestens ein Jahr zu Hause zu bleiben – diese Zeit käme nie wieder, man solle sich das nicht nehmen lassen.

Im Nachhinein muss ich sagen: ja, stimmt, aber was ist denn mit dem/der Partner*in? Für sie/ihn gilt das doch genauso? Es hätte in meinem Fall absolut nichts dagegen gesprochen, dass ich nach 6/7 Monaten, also spätestens zum jetzigen Zeitpunkt, wieder arbeiten gegangen wäre – wie auch viele andere Frauen. Ich fürchte, da wird immer noch zu sehr Mütterkult getrieben und dem anderen Elternteil zu wenig zugetraut.

Diese Ratschläge standen auf der einen Seite und auf der anderen Seite war da dieser unglaublich verlockende Gedanke, mal ein Jahr raus zu sein aus der Arbeitsmaschine… Ich liebe meinen Job, aber er kostet auch viel Kraft, und auch wenn Elternzeit wahrlich kein Sabbatical ist, gibt es die Gelegenheit für ein bezahltes Jahr beruflicher Auszeit sonst nicht.

Auch hier gilt: wie ungerecht – schließlich gilt dieser Wunsch nach einer Auszeit vom Job genauso für den anderen Elternteil! Und noch viel mehr der Wunsch nach viel Zeit mit dem Kind, der Möglichkeit, ihm beim Aufwachsen zusehen zu können. Im Endeffekt kann ich also froh sein, dass es bei meiner Frau aufgrund eines Jobwechsels gar nicht drin gewesen wäre, sich die Elternzeit zu teilen – und sie außerdem (wie so oft…) Nachsicht mit mir hat.

Die eigene Elternzeit-Erfahrung zeigt mir außerdem, dass eine gerechte Aufteilung für beide Seiten sehr erstrebenswert ist – an so manchem langen Tag mit Baby hat mir mein Job schon sehr gefehlt. Das mag für jede*n individuell unterschiedlich sein, aber ich muss gerade öfter als mir lieb ist auf zwei Dinge verzichten: die Freiheit, einfach zu tun, was ich gerade tun will – und die Bestätigung/Anerkennung, die ich im Beruf bekomme. Davon unbenommen steht natürlich der unglaubliche Mehrwert und diese überbordende Liebe und Freude, die einem so ein kleines Wesen täglich beschert!

Nicht zuletzt ist eine gerechte Aufteilung relevant, da nur diese dazu führen kann, dass Frauen im berühmten gebärfähigen Alter im Jobkarussell nicht weiter benachteiligt werden. Auf einmal wäre es dann bei der Einstellung von Frauen wie Männern in diesem Alter für den Arbeitgeber gleich “riskant”, dass diese für eine Zeit lang ausfallen. Ich traue mich zu wetten, dass es insgesamt sogar zu weniger Karriereeinbußen für alle führen kann, wenn das die Norm wird. Mal ganz davon abgesehen, dass es Zeit wird, dass die Männer und nicht-biologischen Elternteile dieses Recht in Anspruch nehmen können, ohne schief dafür angeschaut zu werden oder Nachteile angedroht zu bekommen.

Für mich persönlich gilt aber in Zukunft umso mehr: Augen auf und Vorsicht vor gutgemeinten Ratschlägen! Genauso wie Vorsicht vor dem eigenen Egoismus! Hui.

Außerdem schadet es sicher nicht, sich noch weiter mit Gerechtigkeitstheorien auseinanderzusetzen. Im Philosophie-Magazin werden einige aufgeführt, besonders interessant fand ich den Text zu Amartyan Sen – nachdenklich macht sein Konflikt der drei Kinder, die alle nachvollziehbare und gerechte Gründe haben, warum sie eine Flöte für sich beanspruchen1. Ein Kind kann als einziges Flöte spielen, das zweite ist arm und hat sonst kein Spielzeug und das dritte Kind hat die Flöte gebaut. Was schließlich zum Schluss führt: ” Es kann sein, dass es tatsächlich keine erkennbare vollkommen gerechte soziale Regelung gibt, aus der eine unparteiische Einigung hervorginge.”

  1. Leseprobe zu Amartya Sen “Die Idee der Gerechtigkeit” – drei Kinder und eine Flöte: https://www.perlentaucher.de/vorgeblaettert/leseprobe-zu-amartya-sen-die-idee-der-gerechtigkeit-teil-1.html
Mighty Oaks- The Great Unknown

And I’ve got to know, will I be good enough?
Will I be there to stand you up?
Will I do things the right way?
Will I spend my days afraid?

No, we both hardly know what’s on the way
The great unknown, no, we both hardly know what’s on the way

Mighty Oaks – The Great Unknown

#wirhilft

Nachdem ich hier in den letzten Monaten nur ein paar Entwürfe, aber keinen fertigen Blogeintrag hinbekommen habe, freue ich mich umso mehr, dass der tolle neue Blog des Paritätischen in Bayern zum Thema Selbsthilfe jetzt online ist und wir auch etwas dazu beitragen durften!

Der wir-hilft-blog des Paritätischen in Bayern will alle Aspekte und Facetten von SELBSTHILFE beleuchten. Es geht darum zu zeigen, was alles Selbsthilfe ist, Erfahrungen zu teilen, Anregungen zu geben, zu informieren – und auch zu unterhalten. Im Rahmen der Aktionswoche Selbsthilfe 2019 geht der Blog aus Bayern online.

https://wir-hilft-blog.de/about-2/

Unser Artikel “Wir sind die Familie – unser Kind, die Mama und die Mami” dreht sich um das Thema Regenbogenfamilien und warum es sinnvoll ist, sich zu vernetzen:
https://wir-hilft-blog.de/wir-sind-die-familie-unser-kind-die-mama-und-die-mami%ef%bb%bf/

Viel Spaß beim Lesen des Blogs mit vielen interessanten Beiträgen!
Wer mag, kann #wirhilft auch noch bei Facebook liken, hier findet ihr Grundlagen, Neuigkeiten und gute Online-Hinweise zur Selbsthilfe:
https://www.facebook.com/wirhilft/

WIR verbindet,
WIR stärkt,
WIR hilft.
Find ich auch!


Mutter.

Heute ist der 10. Todestag meiner Mutter. Im Grunde sind mir solche Jahrestage nicht so wichtig, auch nicht der Besuch am Friedhof. Ich erinnere mich an die Verstorbenen eher in Situationen, im Alltag – und muss dafür nicht an die Grabstätte gehen oder ein festes Datum haben. Vielmehr spüre ich an solchen Tagen auf dem Friedhof einen gewissen Druck, nun alle Gefühle abzurufen, was sowieso nicht funktioniert.

Dieses Mal ist es aber so, dass mich dieser Jahrestag schon seit Wochen beschäftigt und ich viel an meine verstorbene Mutter denke. Das hat ganz sicher damit zu tun, dass ich seit Herbst selbst Mutter bin. Es gab in den paar Monaten (und natürlich in der Schwangerschaft) schon so viele Momente, in denen ich mich gefragt habe, wie es ihr wohl damals ging, wie sie dies oder das empfunden hat, und natürlich, wie sie wohl gewesen wäre als Oma und was sie überhaupt zu unserer späten Familiengründung gesagt hätte. Mit Sicherheit hätten wir erstmal eine ihrer Lieblingsgesten gesehen – mit dem Zeigefinger an die Schläfe klopfen.

So vieles reimt sich bei mir im Nachhinein gar nicht zusammen, was ich zeit ihres Lebens einfach als gegeben hingenommen habe. Nur ein Beispiel: Warum hat diese charakterstarke Frau ein Leben als Hausfrau und Mutter gelebt und ist nie zurück in den Beruf gegangen? Vielleicht, weil sie nie einen Beruf hatte, für den sie gebrannt hat? Doch warum war das so, wie kam es dazu?

Vor Kurzem habe ich den Film “Der Junge muss an die frische Luft” gesehen, im Anschluss gab es ein Gespräch mit der Regisseurin Caroline Link sowie einer Ethik-Professorin. Hauptthema waren die Familienkonstellationen und -dynamiken, die im Film bzw. im Leben Hape Kerkelings eine Rolle spielten. Auch dieser Film hat mich nachdenklich gemacht und meine eigene Familie hinterfragen lassen. Ähnlich wie der Film nur mit Bedacht über noch lebende Personen berichtete, möchte ich hier nicht zu viel aus dem eigenen Familiennähkästchen plaudern.

Doch beschäftigt mich sehr die Frage nach dem Einfluss des Krieges auf die verschiedenen Generationen. Kriegskinder und Kriegsenkel sind sehr stark geprägt von ihrer Geschichte, da macht meine Familie keine Ausnahme. Meine strenge preußische Großmutter und auch mein fränkischer Großvater, der mir als Enkelin immer sehr viel gutmütiger erschien, waren als Eltern meiner Mutter mit Sicherheit anspruchsvoll und duldeten wenig. Wer den Krieg erlebt hat, hatte vielleicht einfach weniger Verständnis für die kleinen Problemchen… da war schnell ein “Stell dich nicht so an!” die Antwort. Im Film wird immer wieder der Großvater Hape Kerkelings zitiert, der bei Kriegsende 300 Kilometer durch den Schlamm nach Hause zu seiner Änne marschierte, weiter, immer weiter. Dazu stellte ein Zuschauer im Anschluss die Frage an die Regisseurin, ob durch das Zitat auch betont werden sollte, dass die Leute sich damals durchgebissen hätten, während man heute bei der jungen Generation oft den Eindruck hätte, sie würde nach dem ersten Scheitern aufgeben. Die Antwort von Caroline Link auf diese doch eher suggestiv gestellte Frage gefiel mir – sie sagte, man müsse auch die andere Seite der Medaille sehen: dass eben nie innegehalten wurde, dass sich nicht eingestanden wurde, wenn es vielleicht eben nicht mehr ging. So wie die Depression von Hape Kerkelings Mutter zwar wahrgenommen, aber doch tabuisiert wurde, und ihr nicht die Hilfe zukam, die sie gebraucht hätte.

Ähnlich ist auch meine Mutter aufgewachsen, denke ich. Mit Eltern, die sich nichts Böses dabei dachten, die Kinder mal für zwei Wochen in ein Kinderheim zu stecken, um in Ruhe zu zweit zu verreisen; mit Eltern, die ihren Kindern das ordentliche Essen beibrachten, indem sie ihnen Bücher unter die Achseln klemmten, damit die Ellbogen beim Essen am Körper blieben; mit Eltern, die das Geld zusammenhielten und sich selten etwas “außer der Reihe” gönnten. Meine Großeltern waren mit Sicherheit liebende Eltern und Großeltern, aber vielleicht doch für meine Mutter oft auch problematische Eltern. Meine Mutter wiederum übernahm vieles und ich erinnere mich, wie sie mir des Öfteren vorwarf, unsere Generation wäre ja nur an Spaß interessiert.

Wie wird es mir nun wohl ergehen als Mutter? Werde ich mich lösen können von so manchem, was über die Generationen weitergegeben wurde und gar nichts mehr mit uns heute zu tun hat? Werde ich das übernehmen können, was mir gut tat als Kind? Werde ich oft diese Momente haben, in denen ich wie meine eigene Mutter klingen werde?

Heute jedenfalls werde ich mit unserem Sohn zum Friedhof gehen und eine Kerze anzünden für meine Mami, an diesem sonnigen Tag, der so anders ist als der eisige 18. Februar 2009, an dem sie einfach nicht mehr ans Telefon gegangen ist.

Hello, is there anybody home? Hey ma, if you’re there, pick up the phone.

You left your own home to raise a family (…) Now your kids are grown, educated on their own, you were their coach, their cook, their everything.

Hello, is there anybody home?

Bettina Schelker – Hello


Mental Load.

Zum Schreiben braucht man nicht nur Zeit, sondern auch Muße. Nun könnte man naiverweise denken, in der Elternzeit hätte man von beidem jede Menge. Schließlich muss man nicht arbeiten und sollte sich doch auch über etwas geistige Betätigung freuen.
Das tut man auch, denn eines der vielen Dinge über das Kinderkriegen, die einem vorher niemand sagt, ist ja, dass man (zumindest im ersten Lebensjahr des Kindes), wie es meine weise Freundin V. formuliert, “immer knapp am Tod durch Langeweile entlangschrammt”. Das hat gar nichts damit zu tun, dass man das Kind nicht auf vorher nie dagewesene, unglaubliche Weise liebt, toll, wunderbar und aufregend findet. Sondern schlichtweg damit, dass so ein Baby eben ganz andere Anforderungen an einen erfüllten, lehrreichen, interessanten und kurzweiligen Tag stellt als eine Erwachsene. Dem Baby einen solchen Tag zu bereiten, geht allerdings damit einher, dass man zwar voll beschäftigt, aber eben wenig gefordert ist.

So kommt es auch, dass ich diesen Blogpost schon lange im Kopf habe, aber jetzt erst hier verewigen kann, wo es das Thema sogar schon in die deutschen Mainstream-Medien geschafft hat. Nichtsdestotrotz, ich finde es nach wie vor interessant, es sich vor Augen zu führen und immer wieder sein Leben darauf zu überprüfen.
Es geht, wie der Titel schon sagt, um das “Mental Load” – um all die unsichtbaren Aufgaben, die organisatorisch anfallen in einer Paarbeziehung oder noch viel mehr in einer Familie. Grandios auf den Punkt gebracht ist die Thematik in dem Cartoon You should’ve asked. Um es vorwegzunehmen: hier und in allen Artikeln dazu geht es vor allem um die Belastungen, die Frauen/MütterTM haben, da sie das Mental Load zu schultern haben, während die MännerTM davon unbehelligt durchs Leben gehen. Solche Annahmen finde ich immer besonders interessant, denn es stellt sich schließlich die Frage, wie das in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung aussieht.

Da kann ich natürlich nun nur über unsere Beziehung sprechen, ohne den Anspruch zu erheben, allgemeingültige Aussagen über Homo-Beziehungen oder Regenbogenfamilien treffen zu können. Auch bei uns gibt es natürlich das Mental Load, und auch bei uns ist es unterschiedlich verteilt. Als Hauptgrund, dass ich diese Art von Verantwortung und Überblick prozentual mehr bei mir verortet finde, liegt sicherlich auch an mir selbst. Schließlich bin ich bekennender Kontrollfreak und alles, was ich an Verantwortung aus der Hand gebe, entzieht sich meiner Kontrolle – was ich gar nicht mag. Um das mit einem kleinen Beispiel zu illustrieren: es war wirklich schwer für mich, am Heiligen Abend darauf zu vertrauen, dass mein Bruder schon rechtzeitig das bestellte Fleisch abholen würde, bevor der Laden schloss. Rational war mir natürlich klar, dass es nur logisch und praktisch war, dass er das Fleisch auf dem Weg zu uns abholte, dass es unrealistisch war, dass er verschlafen oder es vergessen sollte, dass er genauso Interesse daran hatte, dass wir etwas zu essen hatten… Dennoch fiel es mir schwer, den Abholzettel aus der Hand zu geben.

Kann ich mich also dann überhaupt darüber beklagen, dass ich die Hauptlast des Mental Loads bei mir sehe, dass ich “Haushaltsmanagerin” bin (Oh Gott, leite ich gar ein erfolgreiches Familienunternehmen… brrrrr)? Muss ich nicht einfach nur etwas davon abgeben? Ja, das muss ich! Das wurde mir sehr klar, als ich den sehr empfehlenswerten Beitrag dazu auf Deutschlandfunk Kultur hörte (immer noch als Podcast abrufbar). Es hilft, wie es Autorin/Bloggerin Patricia Cammarata (dasNuf) beschreibt, eine Bestandsaufnahme zu machen – oder es sich einfach nur mal bewusst zu machen, dass es noch mehr gibt als die Wäsche, das saubere Klo und das Essen auf dem Tisch, was ein gemeinsames Familienleben erfordert.

Dazu gehört es auch, die sichtbaren Aufgaben zu verteilen, nach Gusto und/oder Können. So wische ich nie Staub, bügle nicht und ohne meine Frau würden auch die Pflanzen alle eingehen, da sie nie gegossen würden. Umgekehrt putze ich das Bad, kümmere mich um frische Handtücher und Bettwäsche, etc. Das große ABER: Das sind keine Aufgaben, die die andere nicht wahrnehmen könnte! Denn das wäre ja fatal.
So tut es mir auch in der Seele weh, wenn ich bei anderen Familien höre, dass der Vater nicht weiß, welche Kleidergröße das Kind gerade hat oder von welcher Marke der Lieblingsbrei ist. Mindestens genauso weh tut es aber, dass Frauen ihren Männern es schlichtweg nicht zutrauen, das Kind morgens anzuziehen oder die richtigen Windeln zu kaufen. Schließlich lebt man seinen Kindern so auch ein Rollenbild vor, was sicherlich nicht von Vorteil ist.

Viel mehr geht es beim Mental Load aber um die unsichtbaren Aufgaben, um die innere To-do-Liste ist, die einen belastet. Wenn ich also eine Aufgabe abgebe, muss ich dies auch wirklich tun – ob die schmutzigen Windeln dann einen Tag früher oder später rausgebracht werden, darf für mich keine Rolle mehr spielen (solange der Eimer nicht überquillt oder es im Bad zu stinken beginnt). Ich bin nicht für die Arzttermine zuständig, also muss ich mich auch nicht um die Einhaltung der Impftermine oder den Nachschub an Vitamin-D-Tropfen kümmern.

Mein Vorsatz ist es, zukünftig mehr Verantwortung abzugeben und es auch auszuhalten, dass Dinge anders gemacht werden. Anders muss schließlich nicht schlechter sein! Diesen Vorsatz kann ich dann auch direkt mit in die Arbeit nehmen, wenn ich aus der Elternzeit zurückkehre. Auch hier macht man sich das Leben langfristig leichter, wenn man Aufgaben und Verantwortung abgibt. Soll der Kontrollfreak in mir halt rebellieren!