Gerechtigkeit.

Cover Zeitschrift Was ist eine gerechte Gesellschaft

Ich habe ein Faible für diese “Buch- und Presse”-Läden an Bahnhöfen und Flughäfen. Genauso, wie man automatisch immer viel zu viel Brotzeit auf eine Reise mitnimmt, packe ich nämlich auch immer viel zu viel Lesestoff ein. Die Realität sieht hingegen oft so aus, dass ich im Zug/Flugzeug viel schlafe oder einfach nur aus dem Fenster schaue, oder, noch viel doofer, viel Zeit auf dem Handy verdaddle. Aber mein ideales Selbstbild ist es eben, die Reisezeit zu nutzen, um interessante Bücher und Zeitschriften zu lesen – oder endlich mal die Tageszeitung von vorn bis hinten, inklusive Magazin.

Kürzlich war ich jedenfalls mal wieder in so einem Zeitschriftenladen und habe mir zum ersten Mal das “Philosophie-Magazin” gekauft (nein, nicht die BUNTE, denn auch hier habe ich schließlich einen hohen Anspruch an mich selbst.. ;-)). Der Titel hat mich angesprochen: “Was ist eine gerechte Gesellschaft?” und als ich dann feststellte, dass sogar ein Persönlichkeitstest drin ist, wusste ich, die 6,90€ sind gut investiert! Persönlichkeitstests habe ich schon zu Bravo- und Popcorn-Zeiten geliebt.

Das Thema Gerechtigkeit ist schon immer ein Lebensthema von mir, wenn man so will – diese für alle Menschen herzustellen, ist schließlich die größte Herausforderung, vor der Gesellschaften stehen, und schon immer frage ich mich, wie man im Kleinen dazu beitragen kann. Daher fand ich den Leitartikel “Was ist fair?” über John Rawls’ Philosophie und die Kritik dazu besonders interessant. Dass sich dieser für das Thema Gerechtigkeit interessierte, ist mit Blick auf seine Biographie kaum verwunderlich. Als Kind erkrankte er erst an Diphterie und steckte seinen jüngeren Bruder an, der daran starb. Ein Jahr später bekam er eine Lungenentzündung, sein anderer jüngerer Bruder steckte sich an und starb ebenfalls. Puh.

Rawls’ Prinzip für Gerechtigkeit ist der “Schleier des Nichtwissens”, welchen wir alle anlegen sollten: So zu tun, als wüsste man nichts über die eigene Stellung in der Gesellschaft – nichts über den eigenen Status, Ethnie, Religion, Gesundheit/Krankheit, Alter, Intelligenz, Herkunft, usw… Unweigerlich würde dies dazu führen, dass uns gesellschaftlich schlechter gestellte Menschen schützenswert erscheinen – schließlich kann es sein, dass wir selbst dieser Gruppe angehören. Spannend! Und logisch.

Gesellschaftliche Gerechtigkeit ist natürlich schon eine große Nummer. Ich habe aber in letzter Zeit auch viel über die Gerechtigkeit im Kleinen, in den zwischenmenschlichen Beziehungen nachgedacht.
Gerade an einer Stelle bin ich nicht zufrieden mit mir selbst. In der Theorie würde ich es nämlich natürlich immer befürworten, dass sich Paare die Kinderbetreuung/-erziehung gerecht, also paritätisch, aufteilen. In der Praxis leben wir es aber im Moment (also im ersten Lebensjahr unseres Sohnes) nicht so. Das hat zwar auch damit zu tun, dass es sich aus beruflichen Gründen gerade nicht anders handhaben lässt. Aber ich muss gestehen, dass ich auch zu Beginn der Schwangerschaft ganz egoistisch für mich beschloss, ein Jahr aussetzen zu wollen. In dieser Zeit fühlten sich viele Leute (meist Frauen und meist ungefragt), dazu berufen, mir dazu zu raten, doch mindestens ein Jahr zu Hause zu bleiben – diese Zeit käme nie wieder, man solle sich das nicht nehmen lassen.

Im Nachhinein muss ich sagen: ja, stimmt, aber was ist denn mit dem/der Partner*in? Für sie/ihn gilt das doch genauso? Es hätte in meinem Fall absolut nichts dagegen gesprochen, dass ich nach 6/7 Monaten, also spätestens zum jetzigen Zeitpunkt, wieder arbeiten gegangen wäre – wie auch viele andere Frauen. Ich fürchte, da wird immer noch zu sehr Mütterkult getrieben und dem anderen Elternteil zu wenig zugetraut.

Diese Ratschläge standen auf der einen Seite und auf der anderen Seite war da dieser unglaublich verlockende Gedanke, mal ein Jahr raus zu sein aus der Arbeitsmaschine… Ich liebe meinen Job, aber er kostet auch viel Kraft, und auch wenn Elternzeit wahrlich kein Sabbatical ist, gibt es die Gelegenheit für ein bezahltes Jahr beruflicher Auszeit sonst nicht.

Auch hier gilt: wie ungerecht – schließlich gilt dieser Wunsch nach einer Auszeit vom Job genauso für den anderen Elternteil! Und noch viel mehr der Wunsch nach viel Zeit mit dem Kind, der Möglichkeit, ihm beim Aufwachsen zusehen zu können. Im Endeffekt kann ich also froh sein, dass es bei meiner Frau aufgrund eines Jobwechsels gar nicht drin gewesen wäre, sich die Elternzeit zu teilen – und sie außerdem (wie so oft…) Nachsicht mit mir hat.

Die eigene Elternzeit-Erfahrung zeigt mir außerdem, dass eine gerechte Aufteilung für beide Seiten sehr erstrebenswert ist – an so manchem langen Tag mit Baby hat mir mein Job schon sehr gefehlt. Das mag für jede*n individuell unterschiedlich sein, aber ich muss gerade öfter als mir lieb ist auf zwei Dinge verzichten: die Freiheit, einfach zu tun, was ich gerade tun will – und die Bestätigung/Anerkennung, die ich im Beruf bekomme. Davon unbenommen steht natürlich der unglaubliche Mehrwert und diese überbordende Liebe und Freude, die einem so ein kleines Wesen täglich beschert!

Nicht zuletzt ist eine gerechte Aufteilung relevant, da nur diese dazu führen kann, dass Frauen im berühmten gebärfähigen Alter im Jobkarussell nicht weiter benachteiligt werden. Auf einmal wäre es dann bei der Einstellung von Frauen wie Männern in diesem Alter für den Arbeitgeber gleich “riskant”, dass diese für eine Zeit lang ausfallen. Ich traue mich zu wetten, dass es insgesamt sogar zu weniger Karriereeinbußen für alle führen kann, wenn das die Norm wird. Mal ganz davon abgesehen, dass es Zeit wird, dass die Männer und nicht-biologischen Elternteile dieses Recht in Anspruch nehmen können, ohne schief dafür angeschaut zu werden oder Nachteile angedroht zu bekommen.

Für mich persönlich gilt aber in Zukunft umso mehr: Augen auf und Vorsicht vor gutgemeinten Ratschlägen! Genauso wie Vorsicht vor dem eigenen Egoismus! Hui.

Außerdem schadet es sicher nicht, sich noch weiter mit Gerechtigkeitstheorien auseinanderzusetzen. Im Philosophie-Magazin werden einige aufgeführt, besonders interessant fand ich den Text zu Amartyan Sen – nachdenklich macht sein Konflikt der drei Kinder, die alle nachvollziehbare und gerechte Gründe haben, warum sie eine Flöte für sich beanspruchen1. Ein Kind kann als einziges Flöte spielen, das zweite ist arm und hat sonst kein Spielzeug und das dritte Kind hat die Flöte gebaut. Was schließlich zum Schluss führt: ” Es kann sein, dass es tatsächlich keine erkennbare vollkommen gerechte soziale Regelung gibt, aus der eine unparteiische Einigung hervorginge.”

  1. Leseprobe zu Amartya Sen “Die Idee der Gerechtigkeit” – drei Kinder und eine Flöte: https://www.perlentaucher.de/vorgeblaettert/leseprobe-zu-amartya-sen-die-idee-der-gerechtigkeit-teil-1.html
Mighty Oaks- The Great Unknown

And I’ve got to know, will I be good enough?
Will I be there to stand you up?
Will I do things the right way?
Will I spend my days afraid?

No, we both hardly know what’s on the way
The great unknown, no, we both hardly know what’s on the way

Mighty Oaks – The Great Unknown

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