Gruppenzugehörigkeit.

In meiner Schulklasse am Gymnasium waren wir 17 Mädchen (und 11 Jungs), deren Unterschiedlichkeit sich mit Beginn der Pubertät so richtig herausbildete. Ich kann nicht mehr sagen, wann es begann, doch irgendwann gab es zwei Lager unter uns Mädchen – mit den jeweils wenig schmeichelhaften, von der anderen Gruppe verliehenen Namen “Lahmis” und “Bonzen”.
Zu den “Lahmis” gehörten meiner Erinnerung nach die ruhigeren, schüchternen, vielleicht auch weniger “attraktiven” Mädchen, wie beispielsweise das übergewichtige Mädchen, das mit dem schlimmen Mundgeruch und das Mädchen, das altmodische Klamotten trug und schielte. Die “Bonzen” hingegen waren die stylischen Mädchen, die schon weiter in der Entwicklung waren, die als erste Alkohol tranken und kifften, die “cool” waren und bei den Jungs gut ankamen, darunter einige Arzttöchter, irgendwie hatte die Gruppenbezeichnung wohl also auch mit Geld zu tun.
Schließlich gab es noch drei-vier Mädchen “dazwischen”, zu denen ich mich zählte. Ehrlicherweise waren wir wohl den “Lahmis” näher, aber mit uns gaben sich die “Bonzen” immerhin auch ab. Tatsächlich hatte ich in dieser Zeit eine Art Individualismus entwickelt und kann mich noch erinnern, dass mich diese Gruppenbildung richtig nervte. Vielleicht war das auch eine Art Selbstschutz, da ich eben einfach nicht eine von den Coolen war.
Auch wenn sich diese Betitelung nicht ganz so lange hielt, blieben die Gruppen übrigens mehr oder weniger bestehen – als A-Klasse (die mit Latein angefangen hatte), blieben wir von der 5. bis zur 11. Jahrgangsstufe in einer Klasse zusammen.

Auch in der Pfarrjugend, mit der ich fast meine gesamte Freizeit verbrachte, bildeten sich in irgendeinem Zeltlager zwei verfeindete Gruppierungen, die wenig nett miteinander umgingen. Hier fühlte ich mich schon eher einer Gruppe zugehörig, denn zu den Idioten, die die anderen mit fiesen Namen betitelten, wollte ich nicht gehören. Ich selbst wurde von diesen “Bretty” genannt, was sich auf meine damals noch nicht sonderlich ausgebildete Oberweite bezog. Schließlich führte neben meinem nachlassenden Glauben und den immer größer werdenden Zweifeln an der Religion(sgemeinschaft) nicht zuletzt diese Gruppenbildung dazu, dass ich mich aus der Pfarrjugend zurückzog – besonders christlich ging es da sowieso nicht zu. Wahrscheinlich hatte der Diakon damals recht, als er resigniert feststellte, unsere Gruppe könnte genauso gut einem Eishockeyverein angehören. Wir alle hatten dort einfach unseren Treffpunkt mit tollen Räumlichkeiten, Parties, anderen Jugendlichen – darum ging es. Und für die Eltern waren wir gut aufgehoben.

Wie schön, dass ich in meiner Zeit als Studentin und auch in dem Jahr, das ich in England verbringen durfte, die Chance hatte, mich wieder neu zu präsentieren und nicht gleich einem Lager zugesprochen wurde. Außer weiterhin wie selbstverständlich der Gruppe der Heterosexuellen… diese Rolle versuchte ich auch noch eine Weile mitzuspielen, bis es einfach nicht mehr ging, da das eben nicht ICH war. Plötzlich sollte ich einer mir ganz fremden Gruppe angehören: den Homos, den Lesben… Dabei war das alles total neu für mich und ich hatte mir gerade erst eingestanden, dass es nicht nur “Seelenverwandtschaft” war, was ich so mancher Frau gegenüber empfunden hatte. Musste da gleich eine ganze Identität mitkommen? Ja, irgendwie schon. Doch wurde ich nie eine “Szenelesbe”, die Homoquote in meinem Freund*innenkreis dürfte höchstens dem Bundesdurchschnitt von 5-10% entsprechen. Dennoch blicke ich heute mit etwas Sentimentalität und auch Neid auf die Teenager, die beim CSD in Scharen auftreten und durch diese Gruppe der Gleichgesinnten selbstbewusst auftreten können.

Ebenfalls in der Studienzeit beschloss ich, den Kontakt zu einer anderen Gruppe zu suchen. Inspiriert von einer Freundin suchte ich mir ein Ehrenamt – der Spruch der Ehrenamtsagentur Tatendrang sprach mich an: Spenden Sie Zeit statt Geld!
Niedrigschwellig wäre es gewesen, mit Migrant*innen Deutsch zu üben oder Schulkinder zu unterstützen, schließlich studierte ich Lehramt. Ich wollte das aber eben bewusst nicht und bin bis heute sehr froh, dass ich mich traute, mich bei einem Verein zu melden, der schon damals die Inklusion von Menschen mit Behinderung vorantrieb. Nicht zuletzt hat es auch meine berufliche Karriere maßgeblich geprägt, dass ich diesen Schritt machte.

Das ist mittlerweile 16 Jahre her und auch wenn sich mein Engagement in dieser Zeit verändert hat (von der direkten Arbeit mit den Menschen eher hin zur “Hintergrundarbeit” im Vorstand), bin ich immer noch sehr dankbar für diese Erweiterung des Horizonts. Auch ich hatte Barrieren im Kopf und es hat wirklich etwas mit mir gemacht, die Menschen hinter der Behinderung kennenzulernen, die so oft im Vordergrund steht und unseren Blick verstellt.
Damals war noch nicht die Rede von den Filterblasen, die wir uns im Leben schaffen, aber ich habe es immer schon als sehr inspirierend und interessant empfunden, Menschen mit einem sehr unterschiedlichem Hintergrund kennenzulernen. Das galt im Verein nicht nur für die Menschen mit Behinderung, sondern auch für die Ehrenamtlichen, die eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Frauen (und sehr wenigen Männern) mit ganz unterschiedlichem Background sind.

Die Gruppenbildung ist sehr menschlich, wir stecken andere und uns selbst in Schubladen und das wird auch so bleiben. Für Zwecke der Selbsthilfe und den Austausch unter Gleichgesinnten ist es auch sehr sinnvoll, sich eine Gruppe zu suchen, das erlebe ich zum Beispiel gerade als Regenbogenmutter. Ich hoffe aber, ich kann weiterhin mich selbst und auch andere, nicht zuletzt meinen Sohn, zum einen dazu ermutigen, die Schubladen und den eigenen Wunsch, zu einer Gruppe zu gehören, zu hinterfragen, und zum anderen Neugier auf andere zu haben – statt Angst vor dem vermeintlich Fremdem und anderem. Für beides braucht es Mut, schließlich muss man es für das eine aushalten können, auch mal Außenseiter*in zu sein, und für das andere von sich aus auf andere zugehen. Vor allem aber man muss sich selbst entdecken, unter all den Labels, die einem gesellschaftlich aufgedrückt werden.

I wish that I could be like the cool kids
Cause all the cool kids, they seem to fit in
I wish that I could be like the cool kids
Like the cool kids

Echosmith – Cool Kids

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