Barrieren.

Schon seit vielen Jahren habe ich ehrenamtlich und hauptamtlich mit Menschen mit Behinderung zu tun. Ich würde also von mir behaupten, relativ sensibel zu sein, was Themen wie Inklusion, Teilhabe und Barrierefreiheit angeht. Des Öfteren war ich auch schon mit Menschen unterwegs, die im Rollstuhl sitzen, und bin so durchaus schon auf viele Hürden gestoßen.

Seit ein paar Wochen habe ich nun oft einen Kinderwagen dabei¹ und begegne so täglich verschiedensten Barrieren. Auf einmal sind abgesenkte Bordsteine, Eingänge ohne Schwelle und funktionierende Aufzüge oder Rolltreppen essentiell. Erst jetzt merke ich so richtig, wie sehr man hier in der Stadt darauf angewiesen ist – und wie oft es an der einen oder anderen Stelle hakt oder schwierig ist.

Mit Kinderwagen hat man im Vergleich zum Rollstuhl einen unschlagbaren Vorteil: der Kinderwagen kann (mit fremder Hilfe) auch mal die Stufen runter- oder hochgetragen werden, wenn die Rolltreppe oder der Aufzug² nicht geht. Das traut sich bei einer/einem Rollstuhlfahrer*in kaum jemand, mit E-Rolli ist es aufgrund des Gewichts schier nicht möglich. Die Tage habe ich mich im Bus mit einem Studenten mit Cerebralparese darüber unterhalten – er sagte, er habe auch aus genau diesem Grund keinen E-Rollstuhl, da man damit noch viel mehr mit Barrieren kämpfen müsste. Mit Baby hat man es leichter, man kann seine Ausflüge entsprechend planen -ich greife auch gern auf das Tragetuch zurück, wenn ich schon weiß, es wird eng oder eventuell schwierig.

Man glaubt nicht, wieviele Läden eine Stufe (oder mehrere) am Eingang haben, die man überwinden muss, bevor man dann noch irgendwie die Tür aufbekommen muss – oft ohne fremde Hilfe gar nicht möglich. Nun könnte man theoretisch den Kinderwagen auch kurz draußen stehen lassen, wenn man z.B. zum Bäcker geht. Könnte ich aber auch nicht mit gutem Gefühl – allein schon, weil wir der Oma versprechen mussten, das nicht zu tun. Aber auch, weil man immer wieder Geschichten gehört oder auch ein Buch über eine Entführung eines Babys gelesen hat.

Heutzutage wird bei Neubauten schon mehr auf entsprechende Barrierefreiheit geachtet, doch wundert man sich, dass dies trotz aller Vorschriften bzw. Selbstverpflichtung nicht flächendeckend passiert. Der neu aus dem Boden gestampfte Stadtteil Freiham wurde zum Beispiel als “inklusiver Stadtteil” beworben, bevor er überhaupt annähernd so geplant war. Nun kann man sich natürlich sowieso fragen, was das denn sein soll – sollte nicht jeder Stadtteil inklusiv, also für jede*n bewohnbar sein? Gemeint war wohl barrierefrei, aber es wurden Menschen mit Behinderung keineswegs von vornherein in die Planung miteinbezogen, wie man vielleicht annehmen mag. Der Münchner Behindertenbeirat konnte schließlich glücklicherweise noch an manchen Stellen intervenieren, sodass wohl verhältnismäßig wenig Barrieren zu finden sind… komplette Barrierefreiheit dürfte aber Illusion bleiben.

Erstaunt war ich beim Umbau der Hugendubel-Filiale am Rotkreuzplatz – wurde hier doch glatt eine neue Rampe gebaut, die aber den Anforderungen von Rollstuhlfahrer*innen offensichtlich nicht genügt (fehlender Handlauf, Neigungswinkel…). Das obige Schild wurde angebracht, ein Armutszeugnis, wie ich finde. Auf meine Nachfrage im Laden wurde mir beschieden, dass es hinter dem Laden einen Lieferanteneingang gäbe, der den Zugang ermöglichte. Nein, das kann es doch wirklich nicht sein, im Jahr 2018 die Menschen mit Behinderung höchstens über den Lieferanteneingang einzuschleusen.

Wünschenswert wäre eine schlagkräftige Koalition aus Menschen mit Behinderung und Eltern – eine Lobby für Barrierefreiheit. Dass das leider nicht so passiert, ist wahrscheinlich dem Umstand geschuldet, dass die Kinder größer werden und die Eltern vergessen, mit welchen Hürden sie zu kämpfen hatten, als sie noch mit dem Kinderwagen navigierten… Dabei sollte man durchaus schon an die Zeit denken, wo man selbst mit dem Rollator unterwegs sein wird, da geht das mit den Barrieren nämlich wieder von Neuem los. Ein (weiterer) Vorsatz fürs Neue Jahr also: dranbleiben, Geschäftsinhaber*innen ansprechen, kaputte Aufzüge und Rolltreppen melden… und überlegen, was man sonst noch tun kann, um Zugänge zu erleichtern.

¹Was übrigens auch die Blogpause erklärt und auch mein “Currently reading” – das Buch “Capital” ist wirklich gut, ich komme nur nicht dazu, es fertigzulesen, da meine Lektüre der letzten Monate aus Büchern und Zeitschriften zu Schwangerschaft, Geburt und Baby bestand… Aber hey, es wird besser – und immerhin noch ein Blogpost im Jahr 2018!

²Zum Thema Aufzug fällt mir übrigens noch das seltsame/seltene Wort “Sperrengeschoss” ein, das mir nun vermehrt begegnete… Wo kommt das eigentlich her und wird es noch irgendwo verwendet außer im Bereich U-Bahn/S-Bahn?

So we keep waiting (waiting)
Waiting on the world to change
We keep on waiting (waiting)
Waiting on the world to change
It’s hard to beat the system
When we’re standing at a distance
So we keep waiting (waiting)
Waiting on the world to change

3 Kommentare

  1. Wichtiges Thema. Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben mit dem Thema barrierefreies Reisen auseiander gesetzt, mit dem Ergebnis, dass ich (wie viele andere Reiseveranstalter) noch unendlich weit davon bin, leider. Ich habe eine sehr inspirierende Bloggerin kennen gelernt, die sich mit dem Thema beschäftigt, hier den Link zu ihrem Blog: https://ahoiundmoinmoin.de. Es wäre Zeit, etwas zu ändern…

    1. Oje, über das Thema könnte ich ein Buch schreiben. Es ist vor allem für Gruppen mit mehreren Rollstuhlfahrer*innen wirklich schwer, etwas zu finden. Bei unserem Verein ist es tatsächlich so, dass neue Reiseziele erstmal von unserer Leiterin oder einer anderen Mitarbeiterin besucht werden, um die Barrierefreiheit zu checken. Denn manchmal werben Hotels mit barrierefreien Zimmern und wenn man hinkommt, stellt sich heraus, das Wesentliches fehlt, z.B. im Badezimmer, oder dass Türen nicht breit genug sind, und so weiter und so fort. Auch bei Ausflügen Toiletten zu finden, die barrierefrei sind, ist nicht einfach. Da kann man tatsächlich immer dankbar für McDonalds sein. Ich hab aber auch schon zusammen mit einem Restaurantbesitzer erstmal ein Fahrrad, Farbeimer und weiteres Gerümpel aus dem Behinderten-WC geräumt, bevor wir es nutzen konnten. Ein Abenteuer ist es also immer, daher macht es Sinn, dass es Spezialanbieter gibt. Schau mir den Blog gern mal an… Kreuzfahrten sind in der Tat für Menschen mit Rollstuhl oft recht bequem… aber mit der Nachhaltigkeit kommt es sich auch wieder in die Quere, oder?

  2. Gestern aus dem Augenwinkel gesehen – in die Notaufnahme des EvB-Klinikums Potsdam nur über eine Treppe des Grauens, der Aufzug daneben ist defekt (soll schon lange so sein). Und auf der Schräge für die Krankenwagen sollte man nicht herumlaufen (und kommt auch nicht rein).

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