Ahnen.

Vor zwei Wochen starb mein Großonkel mit fast 97 Jahren. Er hatte ein langes und, wie er sagte, erfülltes Leben und auf der Beerdigung erfuhr man dann doch noch was Neues:
Der Leiter der Justizvollzugsanstalt, bei der er beschäftigt war (und dann noch an die 35 (!) Jahre als Pensionär an Pensionistentreffen etc. teilnahm) berichtete aus seiner Personalakte, dass mein Großonkel als ganz junger Aufseher auf einem Ausgang einen flüchtigen Gefangenen mutig wieder dingfest machen konnte.

So ist das ja oft bei Trauerfällen – man erfährt Familiengeschichten und Anekdoten, die man noch nicht kannte. Ein anderer Großonkel hatte zum Beispiel das Bundesverdienstkreuz bekommen, für seine langjährige Tätigkeit bei der Bundesbank… auch das erfuhr ich erst bei seiner Beerdigung.

Wenn jemand stirbt, erleben die Hinterbliebenen oft eine besondere Familienzeit und auf einmal hat man Zeit, die ganzen alten Geschichten mal wieder  herauszukramen und zu erzählen. Während ich es als Kind leider ehrlich gesagt oft eher als anstrengend empfand, wenn meine Oma (gefühlt ständig) von der Flucht erzählte, finde ich es heute schade, sie nicht noch genauer dazu interviewt zu haben. Denn nun ist es für mich unglaublich interessant zu erfahren, was meine Ahnen erlebt, durchgemacht und geschafft haben.

Da war eben die Oma väterlicherseits, die Anfang 1945 zusammen mit ihrer jüngeren Schwester von Posen nach Bayern flüchtete, nur mit einem Koffer und dem Kinderwagen mit meinem Vater und Onkel als Kleinkind bzw. Baby. Sie hatte insgesamt 9 Geschwister, von denen nur die fünf Frauen alt wurden. Alle fünf Brüder starben früh, als Kanonenfutter im Krieg, an TBC oder durch einen Unfall – während die Frauen alle über 80 oder gar 90 wurden.

Schlimme Verluste mussste auch die Familie meines Großvaters väterlicherseits durchleben – sie wurde durch einen Bombenangriff im Jahr 1944 dezimiert, sowohl die Mutter meines Großvaters als auch seine Schwester mit ungeborenem Kind und ihr Mann, der gerade auf Heimaturlaub war, hatten sich in den Luftschutzkeller der Pfarrei geflüchtet, wo dann genau die tödliche Bombe einschlug.

Auch mütterlicherseits gibt es die eine oder andere spannende Anekdote, mein Opa beispielsweise wurde im Rahmen seines Wehrdienstes mit der Legion Condor in einer Nacht- und Nebelaktion nach Spanien verschifft, keineswegs freiwillig, wie er immer betonte. Er konnte seine Eltern lediglich durch verschlüsselte Hinweise auf die spanische Verwandtschaft, die es in der Linie gab, darüber informieren, wo er war. Später wurde er dann nur durch eine Verletzung am Finger durchs Handballspielen vom Einsatz und wohl sicheren Tod in Stalingrad verschont.
Meine Großmutter wiederum verließ nach dem Krieg ihre Heimatstadt Berlin zusammen mit meiner Mutter, die ein Kleinkind war, über die Luftbrücke mit dem “Rosinenbomber”.

Spannende Geschichten… so ist es mein Plan, den Familienstammbaum endlich mal zu aktualisieren und die Verwandten zu befragen, die die Geschichten noch aus erster Hand kennen. Denn irgendwie tragen wir unsere Ahnen ja in uns und sie sind Teil unserer Geschichte.

 

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