Carolin Emckes gestrige Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat mich sehr beeindruckt. Klug und besonnen mahnt sie dazu, sich dem Hass entgegenzustellen und für Vielfalt und Freiheit zu kämpfen, denn
Freiheit ist nichts, das man besitzt, sondern etwas, das man tut.
Dass sie damit einen Nerv trifft, merkt man an den grusligen Kommentaren, die sich bei Facebook unter jedem Artikel mit Hinweis auf sie als Preisträgerin finden. Normalerweise versuche ich, Kommentare gar nicht erst zu lesen, denn damit versaut man sich nur den Tag. Jetzt habe ich es mal wieder gemacht und bin erstaunt, welch negative Emotionen eine solche Rede doch in manchen Menschen wecken kann… Wie manche Leute nichts Besseres zu tun haben, als sich über ihr Aussehen auszulassen, ein paar homophobe Kommentare dazulassen oder die “Ihr linksversifften Gutmenschen”-Keule auszupacken. Zumindest weiß man dann gleich wieder, warum es genau solche Mahner*innen braucht und warum man selbst nicht müde werden darf im Kampf für Vielfalt und Freiheit. Zu leicht kann man in seiner bequemen Bubble manchmal vergessen, was da in vielen Köpfen leider los ist.
Emckes Rede hat mich persönlich auch sehr berührt, weil ich wirklich jedes Wort der folgenden Passage so sehr nachvollziehen kann. Eine bemerkenswerte, merk-würdige Rede!
Ich bin homosexuell und wenn ich hier heute spreche, dann kann ich das nur, indem ich auch aus der Perspektive jener Erfahrung heraus spreche: also nicht nur, aber eben auch als jemand, für die es relevant ist, schwul, lesbisch, bisexuell, inter*, trans* oder queer zu sein. Das ist nichts, das man sich aussucht, aber es ist, hätte ich die Wahl, das, was ich mir wieder aussuchte zu sein. Nicht, weil es besser wäre, sondern schlicht, weil es mich glücklich gemacht hat.
Als ich mich das erste Mal in eine Frau verliebte, ahnte ich – ehrlich gesagt – nicht, dass damit eine Zugehörigkeit verbunden wäre. Ich glaubte noch, wie und wen ich liebe, sei eine individuelle Frage, eine, die vor allem mein Leben auszeichnete und für andere, Fremde oder gar den Staat, nicht von Belang. Jemanden zu lieben und zu begehren, das schien mir vornehmlich eine Handlung oder Praxis zu sein, keine Identität.
Es ist eine ausgesprochen merkwürdige Erfahrung, dass etwas so Persönliches für andere so wichtig sein soll, dass sie für sich beanspruchen, in unsere Leben einzugreifen und uns Rechte oder Würde absprechen wollen. Als sei die Art wie wir lieben für andere bedeutungsvoller als für uns selbst, als gehörten unsere Liebe und unsere Körper nicht uns, sondern denen, die sie ablehnen oder pathologisieren. Das birgt eine gewisse Ironie: Als definierte unsere Sexualität weniger unsere Zugehörigkeit als ihre. Manchmal scheint mir das bei der Beschäftigung der Islamfeinde mit dem Kopftuch ganz ähnlich. Als bedeutete ihnen das Kopftuch mehr als denen, die es tatsächlich selbstbestimmt und selbstverständlich tragen.
So wird ein Kreis geformt, in den werden wir eingeschlossen, wir, die wir etwas anders lieben oder etwas anders aussehen, dem gehören wir an, ganz gleich, in oder zwischen welchen Kreisen wir uns sonst bewegen, ganz gleich, was uns sonst noch auszeichnet oder unterscheidet, ganz gleich, welche Fähigkeiten oder Unfähigkeiten, welche Bedürfnisse oder Eigenschaften uns vielleicht viel mehr bedeuten. So verbindet sich etwas, das uns glücklich macht, etwas, das uns schön oder auch angemessen erscheint, mit etwas, das uns verletzt und wund zurücklässt. Weil wir immer noch, jeden Tag, Gründe liefern sollen dafür, dass wir nicht nur halb, sondern ganz dazugehören. Als gäbe es eine Obergrenze für Menschlichkeit.
Es ist eine merkwürdige Erfahrung:
Wir dürfen Bücher schreiben, die in Schulen unterrichtet werden, aber unsere Liebe soll nach der Vorstellung mancher Eltern in Schulbüchern maximal „geduldet“ und auf gar keinen Fall „respektiert“ werden?Wir dürfen Reden halten in der Paulskirche, aber heiraten oder Kinder adoptieren dürfen wir nicht?
Manchmal frage ich mich, wessen Würde da beschädigt wird: unsere, die wir als nicht zugehörig erklärt werden, oder die Würde jener, die uns die Rechte, die zu uns gehören, absprechen wollen?
Menschenrechte sind kein Nullsummenspiel. Niemand verliert seine Rechte, wenn sie allen zugesichert werden. Menschenrechte sind voraussetzungslos. Sie können und müssen nicht verdient werden. Es gibt keine Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Zuneigung oder Abneigung, Zustimmung oder Abscheu zu individuellen Lebensentwürfen, sozialen Praktiken oder religiösen Überzeugungen dürfen keine Rolle spielen. Das ist der Kern einer liberalen, offenen, säkularen Gesellschaft.
Verschiedenheit ist kein Grund für Ausgrenzung.
Ähnlichkeit keine Voraussetzung für Grundrechte.
Die komplette Preisverleihung gibt es übrigens hier zu sehen, auch die Laudatio von Seyla Benhabib ist zu empfehlen.