Dankbarkeit.


Aus irgendeinem perfiden Grund hält ja leider Freude über ein Ereignis nicht so lange vor wie Ärger. Der Mensch vergisst die schönen Erlebnisse also schneller als die negativen, statt länger glücklich darüber und dankbar dafür zu sein.

Daher gefällt mir die Idee so gut, die eine Bekannte auf Facebook geteilt hat: “This January start the year with an empty jar. Each week add a note with a good thing that happened. On New Year’s Eve, empty the jar and read about the amazing year you had.”

Warum also nicht? Heute geht’s los, und jede Woche werfen wir nun sonntags je ein Zettelchen in das Glas… bin mal gespannt!

Toll ist nämlich: Gerade merkte ich schon, dass es mir schwer fiel, mich zu entscheiden bei all den guten Dingen, die schon in den wenigen bisher vergangenen Tagen dieses Jahres passiert sind.
Da war unter anderem der schöne, lustige Start ins Jahr zusammen mit lieben Freund*innen, der ausgedehnte Spaziergang und das Reste-Fondue am nächsten Tag, die tollen, sonnigen und kalten Wintertage, die Treffen und guten Gespräche mit netten Leuten. Die wertvolle Beziehungszeit, Zweisamkeit und Nähe an den Feiertagen und dem langen Wochenende. Meine kindliche Freude über das neue Smartphone nach über vier Jahren, bei dem endlich wieder alles, auch die Kamera, funktioniert. Ein ganzer gemütlicher Tag unter dem Motto  des Christbaumlobens mit Freund*innen. Der witzige, überraschende Moment, als wir zufällig meinen Bruder und seine Frau in den Heute-Nachrichten unter den Zuschauer*innen einer Veranstaltung erkannten. Das leckere Abendessen nach einem Rezept meiner verstorbenen Mama (Hühnerbeine in Zitronen-Chili-Sherrysauce). Schließlich heute noch Schlittenfahren in der Stadt, Schnee- und Winterspaß.

Wie unerhört gut es uns doch geht! Sich dies regelmäßig bewusst zu machen statt über die negativen Dinge (die natürlich auch passieren) zu jammern, das ist doch der einzig wahre Vorsatz. Erinnert mich dran, bitte!

Jahreswechsel.

Alle jammern, wie schlimm doch 2016 war. Ich kann mich zumindest nicht erinnern, dass es in den vergangenen Jahren schon mal Aufmunterungs-Listen gab, was doch gut war im letzten Jahr.

Es ist schon einfach, da mit einzustimmen, denn es findet sich genug, was furchtbar, schrecklich, traurig war. Auf globalem Level allein, es herrscht schlimmster Krieg in Syrien, die Briten haben für den Brexit, die Amerikaner für Trump gestimmt, der Klimawandel schreitet voran, in der Arktis ist es warm wie nie. Das alles macht Angst. Das macht mir viel Angst, wenn ich an meine und die Zukunft nachfolgender Generationen denke.

Dann noch all die tollen Persönlichkeiten, die in diesem Jahr sterben mussten. Ernsthaft, nun auch noch George Michael –  was wären wir denn ohne sein Careless Whisper, Last Christmas und nicht zuletzt seine Version von The First Time Ever I Saw Your Face…? Hach.

Es stimmt also schon, viel war mies in diesem Jahr:

Privat war es im Grunde kein schlechtes Jahr für mich, doch einige Dinge haben mich auch gebeutelt. Lange war nicht klar, warum ich immer wieder Schmerzen an verschiedensten Stellen in meinem rechten Bein hatte, der Wanderurlaub musste storniert und umgeplant werden. Schließlich dann die Diagnose beidseitiger Leistenbruch, die OP inklusive meiner ersten Vollnarkose.
Auch wenn das nun nicht so dramatisch war, hat es mir doch vor Augen geführt, wie selbstverständlich ich bisher davon ausgegangen war, dass mein Körper schon so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Siehe da, eigentlich nicht überraschend, so selbstverständlich ist das nicht. Lesson learned.

Generell habe ich den Eindruck, verwundbarer zu sein als früher. Und, das ist vielleicht schon auch der selbst diagnostizierten Midlife Crisis geschuldet, manches geht mir näher, geht mir länger nach als früher, beschäftigt mich länger. Ich stelle schneller alles grundsätzlich in Frage, und manchmal ist einfach alles zu viel. Da ist mir in den vergangenen Jahren schon einiges an Unbeschwertheit abhanden gekommen, von der ich heute ab und an mal wieder etwas mehr brauchen könnte.

Doch, das ist ja auch klar, diese Veränderungen haben nichts mit dem mutwillig festgelegten Kalenderjahr zu tun. Trotzdem braucht der Mensch es wohl, an solchen Punkten mal eine Rückschau zu wagen. Und, wie in der auch sonst lesenwerten jetzt-Kolumne ganz wahr gesagt wird:

Sich auf die Suche nach dem zu machen, was 2016 gut war, was überhaupt in den vergangenen paar Jahren weltpolitisch und privat alles gut war, ist halt etwas anstrengender und weniger gemeinschaftsstiftend, als sich einfach in den Jammerchor der anderen einzureihen.

Also, das Gute suchen und finden! Dass ich zum Beispiel empfindsamer bin als früher, ist durchaus bereichernd. So schätze ich Geschehnisse, Beziehungen und Freundschaften mehr. Ich jage nicht mehr jedem Kontakt hinterher wie früher, egal ob dieser für mich bereichernd war oder nicht. Dafür bin ich dankbarer um die Leute, die ernsthaftes Interesse zeigen an mir sowie an den Themen, die mich bewegen.

Im vergangenen Jahr bin ich auf viele wohlwollende Menschen getroffen, die mir auf unterschiedlichste Art und Weise geholfen haben oder mich bereichert haben. In der Arbeit lief es gut, wenig Grund zur Klage. Jede Menge tolle Ereignisse gab es auch, Hochzeiten, Feierlichkeiten, Reisen, Ausflüge, inspirierende Veranstaltungen, und vieles mehr. Und, last but not least, wir haben Audioguide-Beiträge für das Münchner Stadtmuseum produziert. Doch, 2016 war auch ein gutes Jahr!

Was ja nicht heißt, dass es nicht noch Wünsche für 2017 geben darf…

 

 

 

 

 

 

 

Demut.

Vor einer Woche haben wir endlich mal wieder meinen Großonkel im Pflegeheim besucht. Beim Betreten des Hauses werden immer viele Erinnerungen geweckt, im selben Pflegeheim verbrachten nämlich meine Großeltern ihren Lebensabend.

Dort haben sie zum Beispiel ihre Eiserne Hochzeit gefeiert – das war auch wirklich “eisern”, mein Opa war zu dem Zeitpunkt bereits dement. Was aber auch zu witzigen Situationen führte – bspw. als er sich im Café des Hauses umblickte und (als alter Siemensianer) meinte: “Kein Wunder, dass es mit Siemens so bergab geht. Nur alte Leute hier.”

Grundsätzlich erfüllt es mich mit viel Demut, die alten Herrschaften dort zu erleben. Da ist die Frau, die ihre Sprache verloren hat und nur noch “Fragen” sagen kann. Das macht sie aber dann in der jeweiligen Intonation – sie sagt also “Fragen” auch als Antwort auf unser “Guten Tag!”.
Da gab es die ältere Dame, Frau Dr. Soundso, die nicht ohne ihre Puppe im Arm zu sehen war. Und den Herren, der immer einen flotten Schlager vor sich hinträllerte. Allerdings saßen wir auch mal mit ihm zusammen am Abendessenstisch, als ein Geräusch zu hören war, als ob irgendwo Wasser lief… ich guckte erst, ob vielleicht ein Glas umgefallen war, stellte aber schnell fest, dass er pinkeln musste und es einfach hat laufen lassen.

Auch in diesem Heim erlebte meine Oma gegen Ende ihrer Tage eine schlimme Medikamentenvergiftung, sie musste dann mit der Diagnose “Delir” vier Wochen in der geschlossenen Abteilung verbringen. Eine der schlimmsten Erinnerungen, auch meines Lebens. Einerseits weil ihr Zustand zunächst sehr erschreckend war. Diese immer kluge und disziplinierte Frau war total verloren, sprach nur noch wirres Zeug und litt unter Verfolgungswahn. Da es in den aktuellen Nachrichten damals gerade um einen Kinderschänder ging, sah sie diesen überall, auch mit Pistole usw. – ein sehr beängstigender Zustand. Dank (anderer) Medikamente war dies schnell vorbei, doch musste sie noch weitere Wochen in Haar (psychatrisches Krankenhaus) verbringen.

“Haar” ist für viele Münchner*innen immer noch das Synonym für eine “Irrenanstalt”, wie sie früher genannt wurde, und hat einen entsprechenden Ruf. Es ist auch wirklich kein schöner Ort, die Gebäude sind groß und dunkel und dies hat zusätzlich eine bedrückende Wirkung. In einem der wirklich alten Gebäude, hinter verschlossenen Türen richtig eingesperrt, war nun also meine Oma, die über Nacht noch viel mehr gealtert war und sehr zerbrechlich wirkte. Natürlich waren auch die anderen Patient*innen in zum Teil schwierigem Zustand, sodass es durchaus auch etwas beängstigend war, zumal ich so etwas zum ersten Mal erlebte.

Insgesamt war es vor allem eine so demütigende Erfahrung für meine Großmutter, weil sie wenige Tage nach dem Auftreten des Delirs wieder klar bei Sinnen war. In diesem Zustand erhielt sie dann zunächst einen Arztbrief mit einer ausführlichen Diagnose (zu ihrem Delir, ihrer Uneinsichtigkeit, Verwirrtheit, Paranoia, etc. pp.). Bis heute ist mir unverständlich, warum ihr dieser Brief vor Ort ausgehändigt wurde, ohne dass er ihr im geringsten erklärt worden wäre. Zum anderen bekam sie keinerlei psychotherapeutische Unterstützung, sondern musste die Tage dort absitzen.. fast wie im Gefängnis. Nicht mal einen “Notfalldrücker” gab es (wie sie ihn im Altenwohnstift natürlich hatte) und prompt stürzte sie eines Nachts auf dem Weg zur Toilette.

Alles in allem eine schlimme Erfahrung und mit meinen heutigen Wissen hätte ich mich vielmehr für die Entlassung meiner Oma stark gemacht. Damals war ich nur beeindruckt von der Situation und vertraute den Ärzt*innen in ihrem Urteil.

Ich denke, auch aufgrund dieser Erlebnisse habe ich heute viel mehr Respekt vor dem Alter. Es gibt kaum etwas Wünschenswerteres für mich als bis ins Alter auch im Kopf einigermaßen fit zu bleiben, wenn ich denn auch so alt werden sollte wie viele in meiner Familie. Oder mich zumindest in besten Händen zu wissen, falls dem nicht so sein sollte.

Mein Großonkel übrigens ist 96 Jahre alt und wenn auch körperlich immer gebrechlicher, so doch geistig superfit. Das ist wirklich schön. Doch die Einsamkeit, wenn man seine Frau verloren hat und auch sonst kaum noch wer aus dem früheren Leben da ist, kann einem wohl keine*r nehmen und diese ist wohl an Weihnachten besonders zu spüren. Gut, wenn man dann jemanden hat, die/der einen besucht. Mein Großonkel hat zum Glück meinen Vater, der ihn regelmäßig besucht. Natürlich habe auch ich den Vorsatz, das nun mal wieder öfters zu machen… Gerade zur Weihnachtszeit vielleicht nicht der schlechteste Vorsatz: uns wieder mehr um die älteren Leutchen um uns herum zu kümmern.

Außerdem, auch wenn es abgedroschen klingen mag, man kann es nicht genug schätzen, wie gut es einem geht, und nicht dankbar genug sein für die Menschen an seiner Seite. Diesen weihnachtlichen Gedanken werde ich nun wieder mehr Platz einräumen, auch wenn mich der ganze Vorbereitungsstress in den letzten Tagen immer wieder auch grantig gemacht hat. Doch jetzt muss nur noch der Baum dekoriert werden und das geht ja schnell:

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Frohes Fest und schöne Feiertage wünsche ich!

Stress.

Mal wieder finde ich keine Zeit zum Meditieren. Mal wieder finde ich keine Zeit zum Emails beantworten. Mal wieder finde ich keine Zeit zum Bloggen… Diese Liste ließe sich noch beliebig weiterführen. Bin ich also gestresst?

Nun mal langsam: Letzte Woche hatte ich jeden Abend Programm – das waren schöne Termine (Kino, Verabredungen), engagierte Termine (Mitgliederversammlung im Verein) und Arbeitstermine. Am Freitag ging’s dann übers Wochenende ins schöne, relativ neu erkorene Lieblingsstädtchen Bamberg. Eindeutig Freizeit, wenn auch erkältungsgebeutelt, und wenn auch keine Zeit für Obiges. Montag dann Arbeit, dort bereits nachmittags dann ein sehr ungutes Bauchgefühl und Übelkeit mit dem Höhepunkt eines Beinahe-Kreislaufkollapses an der S-Bahn-Station. Es gibt Schöneres. Ich bin dann irgendwie heimgekommen, mit so einer Magen-Darm-Geschichte im Gepäck, die grad rumgeht. Gestern also krank, richtig krank. Heute immer noch nicht fit, aber dann doch praktisch den ganzen Tag Homeoffice, weil man ja mit Laptop und Internetzugang heute kaum noch richtig krank sein kann. Oder will?

Nein, ich bin nicht unzufrieden – genau wie meine Mit-30 bis 40-Jährigen in dieser Studie. Auch ich finde Familie, Freizeit, Arbeit sehr wichtig und nette Arbeitskolleg*innen sind mir mehr wert als das große Geld. Aber genau wie sie bin ich oft gestresst:

Stichwort Belastung: Fast zwei von drei Menschen zwischen 30 und 40 fühlen sich häufig oder sogar sehr häufig gestresst, mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Für jeden Zweiten sind Überstunden normal, jeder Neunte sitzt fast täglich länger im Büro. Wenn sie es sich aussuchen könnten, würden sie 31 Stunden die Woche arbeiten, im Schnitt sind es aber 38 Stunden.

Ich gehöre zu denen, die mehr als 38 Stunden arbeiten, wenn auch sicher nicht zu denen, für die 50-Stunden-Wochen normal sind. Ich arbeite normal viel, habe ein normales Sozialleben, hab eine Frau, aber keine Kinder, mein Ehrenamt mach ich auch schon lang nicht mehr so ausufernd wie früher. Dann ist da noch der Haushalt, den wir (mehr schlecht als recht) selbst schmeißen. Wenn ich mir da die 30-40jährigen in meinem Umfeld anschaue, ist das gar nicht so selbstverständlich – einige haben eine Putzhilfe. Gegen eine Unterstützung hätte ich gar nichts und finde das auch nicht verwerflich, aber ich würde wohl zu denjenigen gehören, die die Wohnung erstmal komplett aufräumen und grundreinigen würden, bevor die Reinigungskraft kommt – weil mir das sonst viel zu unangenehm wäre. Bringt also wohl nichts, da Geld zu investieren. Und, das muss ich auch gestehen, ich kann dem Putzen durchaus was abgewinnen, wenn ich Zeit dazu finde – es ist sehr befriedigend, so schnell Ergebnisse zu sehen (reden wir mal nicht davon, wie schnell diese Ergebnisse auch wieder zerstört werden… und von wem…).

Wovon bin ich also gestresst? Bin ich auch nur allgemein geschäftig und nerve damit? Denn diese Worte könnten auch von mir sein:

Ich selbst bin höllisch genervt von meiner eigenen Geschäftigkeit. Ich vermisse unverplante Zeit, entspannte Unterhaltungen und Treffen, die nicht nach spätestens zwei Stunden von einem „Ich muss dann mal los!“ beendet werden. Obwohl ich versuche, meine Termine bestmöglich zu managen, scheitere ich immer wieder daran, mir Zeit freizuschaufeln.

Ich seh das schon ein – wenn man Zeit haben will, dann muss man sie sich nehmen und kann das auch. Das merkt jede*r in Ausnahmesituationen: wenn man frisch verliebt oder total niedergeschlagen ist, wenn man gebraucht wird, wenn man krank ist, wenn große Ereignisse (ob Hochzeit oder Todesfall) eintreten…. etc.

Nur alles auf das “böse Internet” und seine Prokrastinations-Möglichkeiten zu schieben, ist sicher nicht die Lösung, wie es auch im verlinkten Artikel anklingt. Aber es ist oft ein selbstbestimmter Stress. Man will ja auch was zu tun haben. “Damit man merkt, dass man lebt!”, hat mal wer zu mir gesagt. Sicher auch, um sich “wichtig” zu fühlen. Denn, auch das ist im Artikel angerissen, wer viel Freizeit hat, gilt heutzutage schnell als beruflich erfolglos und/oder sozial verarmt.

So ist wohl auch mein Fazit das des Artikels: Wer mehr Freizeit will, muss sich diese selbst schaffen. Schließlich muss man manchmal auch nur auf der Couch liegen – dieses Bedürfnis hatte ich früher kaum, aber nun immer mehr, je näher ich der 40 rücke. So muss man einfach auch mal was absagen und Verständnis dafür entwickeln, wenn das andere auch tun (jaja, erinnert mich ruhig dran. Aber nicht wenn ich Geburtstag feiere oder so, gell?).

 

PS:  Liebe fellow 30-40-Jährige, Stress hin oder her, wie kriegen wir das mit der Rollenverteilung und Gleichberechtigung denn nur hin? So kann es ECHT nicht weitergehen:

Stichwort Rollenverteilung: Nur knapp ein Drittel der 30- bis 40-Jährigen bevorzugt laut der Studie die klassische Aufteilung zwischen Mann und Frau. Doch in 73 Prozent der jungen Familien arbeiten Mütter in Teilzeit oder bleiben ganz zu Hause. Das traditionelle Familienbild herrscht noch vor, neue Rollenerwartungen kommen nur verzögert in der Realität an.

Eine gleichberechtigte Aufteilung, wie sie sich knapp 60 Prozent wünschen, leben gerade einmal 18 Prozent.

PPS:  Nee, ich hatte KEINE Zeit, nun auch noch ein schönes Bild für diesen Post zu suchen. 😉

PPPS: Du hattest Zeit, das hier alles zu lesen? Vielmehr: du hast dir die Zeit dafür genommen? Wie toll! DANKE!

Gehirnjogging.

Dass ich mal an einer Konferenz des “Munich Center for Mathematical Philosophy” teilnehmen würde, hätte ich ja auch nicht für möglich gehalten. Zur Teilnahme bin ich wie die Jungfrau zum Kind gekommen – ich bin einfach mit meiner gescheiten Frau und einem ebenso gescheiten Freund mitgegangen, weil ich dachte, dass das Thema ganz interessant klingt.

Mir war vorher auch nicht klar, dass es eine Konferenz in kleinem Rahmen ist, an der (außer uns) nur Leute vom Fach teilnahmen, und darunter viele Doktor*innen und Professor*innen. Mein durchgehendes Gefühl war es also, mir wie Falschgeld vorzukommen. Andererseits finde ich es auch eine legitime Sache, das Hirn mal in eine ganz andere Richtung zu bewegen, außerdem bin ich neugierig und hatte an diesem Wochenende auch nichts anderes vor. Nicht zuletzt war es für die Veranstalter*innen offensichtlich okay, auch ohne entsprechenden Lebenslauf teilzunehmen. Natürlich sah mich als “Gasthörerin” – ein Philosophiestudium hätte es wohl schon gebraucht, um sich an den Diskussionen zu beteiligen.

Doch zurück zu dem, was mein Hirn bewegt hat und was ich mitgenommen habe. Das Thema der Konferenz war das Buch “Ethics for a broken world – Imagining Philosophy After Catastrophe” des neuseeländischen Philosophen Tim Mulgan, der auch selbst anwesend war. Ich zitiere mal aus der Konferenz-Website (weil ich noch nie gut im Zusammenfassen war…):

Mulgan entwirft eine Welt, in der die meisten uns bekannten Strukturen wie Staaten, Medien oder Religionen aufgrund eines heftigen Klimawandels zusammengebrochen sind. Er hinterfragt, ob die politische Philosophie, die wir derzeit betreiben, mit Umwälzungen dieser Art umzugehen vermag.

Mulgan setzt dabei nicht nur auf die gängigen Mittel der akademischen Analyse, sondern geht einen ungewöhnlichen Weg. Indem er sich und den Leser ganz in eine fiktive „broken world“ versetzt, erzählt er eine Geschichte von den Lebensumständen, die wenig mit unserer Überflußgesellschaft gemein haben. Den Menschen in der „broken world“ geht es um das reine Überleben, denn angesichts der Zerstörung der Welt sind sogar die grundlegendsten Güter wie Wasser oder Nahrung knapp geworden. Die Bewohner dieses Szenarios sehen kopfschüttelnd auf unsere Philosophie des Überflusses, die es nicht vermag, den Klimawandel und tiefgreifende humanitäre Krisen aufzuhalten oder wenigstens zu mildern.

Da unter den gegebenen Umständen in der “Broken World” nicht die Grundbedürfnisse aller befriedigt werden können, geht Tim Mulgan in seinem Zukunftsszenario auch von sogenannten “Survival Lotteries” aus, die es geben wird. Ich musste da gleich an die “Hunger Games” und andere Dystopien denken. Mulgans “Broken World” liegt auch nicht in unvorstellbar weiter Zukunft, sondern er verortet sie in etwa 100 Jahren… also unsere Enkel und Urenkel durchaus betreffend – and we’re the ones who break their world.

Das macht es auch zu einem Thema, mit dem jede*r etwas anfangen kann. Auch wenn ich manches nicht verstanden habe, weil mir das (wissenschaftliche) Hintergrundwissen fehlte, so habe ich einige Gedankenanstöße mitgenommen. Da ist zum einen die Lust, sich ein bisschen einzulesen in utilitaristische und andere philosophische Ansätze. Zum anderen aber eben die Folgen meines täglichen Handeln für nachfolgende Generationen viel stärker in den Blick zu nehmen – es sind eben keine “distant strangers”, die mit den Folgen des Klimawandels und unseres jetzigen Umgangs mit den Ressourcen zu kämpfen haben, sondern unsere Mitmenschen von heute und morgen!

So ist der Gedanke an die folgenden Generationen, die zurückblicken auf das, was wir getan oder nicht getan haben, einer, den es sich zu denken lohnt. Denn wir zerstören ihre Welt ja sehenden Auges – wir wissen, was wir tun!
Besonders eben mit dem Blick auf den Klimawandel, aber auch mit Blick auf politische Entwicklungen, Gesellschaftsbilder, Geschlechterrollen, Machtverhältnisse in der Wirtschaft etc. – auch diese Gesichtspunkte wurden in der Konferenz beleuchtet. Spannend war’s, anstrengend und anregend. Es schadet aber nicht, mal die Filterblase zu verlassen und sich auf was ganz anderes einzulassen!