Wahl.

Selbstverständlich gehe ich wählen. Seit meinem 18. Lebensjahr erfülle ich ohne Ausnahme meine demokratische Bürgerpflicht. Ich fühle mich wirklich verpflichtet, meine Stimme abzugeben, so bin ich erzogen worden. Meine Eltern und Großeltern haben es nicht anders gemacht, auch wenn ich nicht mit Sicherheit weiß, wo sie ihr Kreuz gemacht haben. Besonders meine Großeltern beriefen sich immer darauf, dass die Wahl geheim ist, wenn wir sie fragten. Vielleicht war das der Zeit geschuldet – heute geht man sicherlich offenherziger damit um.

Jedenfalls wurde nicht eine Partei als die einzig wählbare empfunden, wenngleich sicher eine SPD-Tendenz in meinem Elternhaus bestand. Mein Gymnasium hatte einen eher linken Ruf und war auch ökologisch geprägt – was haben wir Müll getrennt! Für mich war schon relativ bald klar, dass die CSU unwählbar ist, obwohl dies in meinem sehr katholischen Umfeld in Kindheit und Jugend nicht der Mehrheitsmeinung entsprach. Das Weltbild dieser Partei war mir schon immer viel zu engstirnig, viel zu mia-san-mia…

Meine erste Bundestagswahl war 1998, damals habe ich noch SPD gewählt und somit hat auch meine Stimme Schröder ins Amt verholfen. Aufregende Zeiten! Irgendwann wandte ich mich aber von der SPD ab, da ich noch mehr Übereinstimmungen mit den Grünen sah. Seitdem ist mein Wahlverhalten denkbar unspektakulär und auch dieses Mal werde ich einfach wieder grün wählen. Man mag mir da nun gern vorwerfen, zu unkritisch zu sein, aber wenn man davon ausgeht, dass es sowieso keine 100%ige Übereinstimmung mit einer Partei gibt, sondern man eben die wählen sollte, wo sich noch die meiste Übereinstimmung herstellen lässt, lande ich sowieso immer wieder bei Grün. Es ist natürlich nicht so, dass ich mit allen Themen und allen Personen in der Partei zufrieden bin, aber die Kernthemen der Partei sind mir eben auch die wichtigsten. So wichtig, dass ich sogar seit ein paar Jahren (passives) Parteimitglied bin. Angestiftet dazu wurde ich vor ein paar Jahren von meinem damaligen Sozialmanagement-Professor, der überzeugt war, dass es Bürger*innen-Pflicht ist, sich zumindest ein paar Jahre lang politisch zu engagieren. Ähem… diese Jahre liegen allerdings noch vor mir, denn mehr als die Mitgliedschaft war bisher nicht drin.

Was die Wahl betrifft, so erwarte ich die Ergebnisse mit relativ stoischer Resigniertheit. Mehr oder weniger wissen wir ja, was uns erwarten wird, da müssen wir nun durch. Dass die AfD mit wehenden Fahnen einziehen wird, tut mir tief in der Seele weh. Wie gespalten unser Land doch ist. Und wie dieses Phänomen gerade auch in einigen anderen Ländern (wie z.B. den Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Frankreich) zu beobachten ist, das finde ich erschreckend. Muss es da nicht als eine Hauptaufgabe gesehen werden, soziale Gerechtigkeit herzustellen? Offensichtlich nicht.

A propos “soziale Gerechtigkeit”: von der SPD bin ich seit einem Besuch mit einer Gruppe auf Einladung eines Bundestagsabgeordneten im April sehr enttäuscht. Mal davon abgesehen, dass der MdB auf kritische Fragen die Schuld immer nur auf den stärkeren Koalitionspartner geschoben hat, war ich besonders im Willy-Brandt-Haus sehr negativ überrascht über die Einstellung des Wahlkampfmanagers dort. Nachdem er der Gruppe (viele Genoss*innen im Rentenalter darunter) jovial und flapsig die Wahlkampfthemen vorgestellt hatte (es waren so in etwa 10-12), fragte ich ihn, wie es denn mit Flucht und Integration aussähe, da dies gar nicht angesprochen worden war. Er entgegnete “Damit kann man keinen Wahlkampf gewinnen!” Tja, sieht so aus, als würde der Wahlkampf auch so nicht gewonnen.

Gestern hatte ich wahre Freude in der S-Bahn, als ich ein Gespräch von zwei Zwölftklässlern in der S-Bahn mithörte. Der eine fragte den anderen, was er wählen würde – die Antwort lautete “Links, aber so richtig – also die LINKE!”. Der andere outete sich dann als SPD-Wähler, meinte aber gleich dazu, dass es keinesfalls wieder eine GroKo geben dürfe, weil da schließlich nix vorwärts ginge. Eine andere Koalition war aber seiner Meinung nach kaum drin, außer vielleicht Jamaika. “Was ist das nochmal?” sagte der andere – “Rot-Schwarz-Grün” war die prompte Antwort. Ich musste schon sehr schmunzeln, wollte das Gespräch aber nicht unterbrechen. So führte der Erstwähler weiter aus, dass er “diese Bezirksstimme” dem Kandidaten der SPD geben würde, da dieser Lehrer ist. “Und wir wissen ja alle, Lehrer wollen nur das Beste für uns!” Köstlich.

Doch (fast) egal, wo man sein Kreuz macht – dass man es macht, ist so wichtig! Erst vor 100 Jahren haben mutige Frauen das uneingeschränkte Wahlrecht für Frauen erkämpft, noch unsere Großeltern haben die Diktatur erlebt, und heute gibt es noch Menschen mit Behinderung, die quasi willkürlich vom Wahlrecht ausgeschlossen sind und viel dafür geben würden, wählen zu dürfen. Und das ist nur Deutschland.
Froh und dankbar sollten wir sein, dass wir das Recht haben, wählen zu dürfen!

Ich hab‘ den Eindruck, dass das, was die ganze Welt
Bislang in ihrem Innersten zusammenhält
Wenn wir nicht aufpassen, auseinander fällt
Wie bei einem Erdbeben
Selbst das, was man bisher für gegeben hält
Weswegen sich mir immer mehr die Frage stellt:
In was für einem Land auf dieser Welt
Will ich eigentlich leben?

Im Land, in dem ich leben will, herrscht Demokratie
Und statt skrupellosem Kapitalismus Gemeinwohlökonomie
Ein Land, das seine Ärmsten nicht noch zusätzlich sanktioniert
Und das mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zumindest einmal ausprobiert

Dann herrschte nämlich von vornherein viel mehr Gerechtigkeit
Und für das, was wirklich wichtig ist, bliebe viel mehr Zeit
Ich wünsche mir ein Land, wo man sich gegenseitig unterstützt
Wo man Mensch und Tier und Umwelt und Minderheiten schützt

Denn im Land, in dem ich leben will, gehört jeder Mensch dazu
Egal, ob L oder G oder B oder T oder I oder Q
Wo weder Hautfarbe noch Herkunft über einen bestimmt
Sondern einzig und allein, wie man sich benimmt

Ob man die Werte dieses Landes anerkennen kann oder ob man
Mit Frieden, Freiheit und Humanismus nicht sonderlich viel anfangen kann
Ich hätt‘ ja nichts dagegen, will ich an dieser Stelle mal betonen
Wenn all die Intoleranten und Rückwärtsgewandten irgendwo anders wohnen

Das Land, in dem ich leben will, wird regiert von einer Zunft
Die sich von Besonnenheit leiten läßt, von Anstand und Vernunft
Menschen, die den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung respektieren
Die sich nicht zum Alleinherrscher aufspielen und per Dekret regieren

Weder sind es chauvinistische, narzisstische Idioten
Noch verlogene, rassistische Diktatoren und Despoten
Die jeden, der nicht ihrer Meinung ist, zum „Terroristen“ deklarieren
Ihn schikanieren, inhaftieren, foltern und liquidieren

Das Land, in dem ich leben will, ist vor so etwas gefeit
Denn es herrscht dort eine unabhängige Gerichtsbarkeit
Mit Richtern, die sich gegen Korruption und Willkür positionieren
Und wo nicht dafür plädiert wird, die Todesstrafe wieder einzuführen

Und Grundlage der Rechtsprechung ist ein vernünftiges Gesetz
Und kein altes Buch, das Gewalt propagiert und gegen „Ungläubige“ hetzt
Ich wünsche mir ein Land, wo man die Menschenrechte anerkennt
Und dabei Staat und Kirche voneinander trennt

Im Land, in dem ich leben will, ist egal, was du bist
Ob Buddhist, Moslem, Jude, Christ oder Atheist
Weil sich selbstverständlich alle gegenseitig respektieren
Und keiner versucht den anderen zu missionieren

Religion ist dort kein Vorwand für Unterdrückung und auch
Nicht für die Legitimierung schlimmster Verbrechen wie etwa Kindesmissbrauch
Gewalt gegen Andersgläubige, Andersdenkende, Minderheiten und Frauen
Grad gegen solche, die sich gegen das Unrecht aufzubegehren trauen

Im Land, in dem ich leben will, sind Frauen gleichgestellt
D.h. für gleiche Arbeit kriegen sie das gleiche Geld
Man behandelt sie grundsätzlich mit gebührendem Respekt
Sie werden weder genital verstümmelt noch degradiert zum Sexobjekt

Und niemand schreibt ihnen vor, was sie tun und lassen sollen
Sie entscheiden selbst, wie sie sich kleiden und wen sie heiraten wollen
Und brauchen keine Angst zu haben wie in and‘ren Ländern hier auf Erden
Von der eigenen Familie umgebracht zu werden

Das Land, in dem ich leben will, ist ein Land, in dem man
Ohne gleich im Knast zu landen frei seine Meinung äußern kann
Wo man nicht mit dem Tod bedroht wird als Karikaturist
Als Lyriker, Satiriker oder kritischer Journalist

Denn grade eine freie, qualitativ hochwertige Presse
Ist meiner Meinung nach in unser aller Interesse
Weil sie wachsam den Machthabern auf die Finger schaut
Und der man vertrauen kann, weil man weiß, dass sie auf Fakten baut

Im Land, in dem ich leben will, wird in Bildung investiert
Kinder werden individuell gefördert und mit Wissen ausstaffiert
Und eben nicht indoktriniert und mit Absicht dumm gehalten
Sondern in die Lage versetzt dieses Land klug und weise mitzugestalten

Dann fallen sie auch nicht vermeintlich einfachen Lösungen anheim
Und gehen weder den religiösen Rattenfängern noch Populisten auf den Leim
Weil sie sich eigenständiges Denken und kritisches Nachfragen erlauben
Je mehr die Menschen wissen, desto weniger müssen sie glauben

Das Land, in dem ich leben will, hat aus der Geschichte gelernt
Und ist keins, das sich von Mitgefühl und Menschlichkeit entfernt
Wo Holocaust und Klimawandel nicht geleugnet werden
Und nicht diejenigen in der Mehrheit sind, die dieses Land gefährden

Nein, in diesem Land ist man einander zugewandt
Statt Hass und Gewalt regier‘n hier Herz und Verstand
Ein friedliches Land, das nicht hintenrum zuhauf
An andere Länder Waffen verkauft

Ein Land, das tolerant ist aber gleichzeitig auch ganz
Klare Kante zeigt gegen jede Form von Intoleranz
Das bei Unrecht laut wird und bei Nationalstolz still
Das ist mal ein Land, in dem ich leben will

Bodo Wartke – Das Land, in dem ich leben will.

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