Mängelexemplare.

Ich bin so naiv. Zeit meines Lebens war ich -ohne groß drüber nachzudenken- davon ausgegangen, dass Bücher, die als Mängelexemplare verkauft werden, eben schlecht gedruckt, von der Palette oder vom LKW gefallen sind.

Letzte Woche musste ich etwas in einer WfbM abholen und wurde zunächst mit großem Hallo begrüßt. Note to myself: So ein Besuch ist super gegen jegliches Stressgefühl und schlechte Laune. Alle haben sich so über die Abwechslung gefreut, mir ihre Arbeit gezeigt und mich gefragt, was ich denn hier mache.

Ich sah dann, wie zwei Leute Bücher mit einem “Mängelexemplar”-Stempel stempelten, während zwei andere Aufkleber mit neuem Barcode auf die Bücher klebten. Doch was machten zwei andere? Die schlugen mit einem Metallteil auf die Bücherkante. Ich musste zweimal hinschauen und meine Gedanken sortieren, bis ich verstand: hier wurden Mängelexemplare hergestellt! Ein Beschäftiger bestätigte auch ganz fröhlich: “Wir machen die kaputt, weil dann werden die billiger verkauft.”

Klar, wir haben die Buchpreisbindung – was machen die Verlage also mit all den Ladenhütern? Nach 18 Monaten oder auch sobald das entsprechende Taschenbuch erscheint, ist ein vergünstigter Verkauf laut Gesetz möglich. Allerdings habe ich festgestellt, dass die Ersterscheinung des betreffenden Romans, der in der WfbM demoliert wurde, schon über 18 Monate her ist. Warum also dann die Herstellung der Mängel? Hier tappe ich im Dunkeln… ist das besser für das “Image” des Werks? Oder geht es gar um reine Beschäftigungstherapie für die Menschen mit Behinderung?

Jedenfalls hat es mich nachdenklich gestimmt. Vielleicht auch, weil es die vermeindlichen “Mängelexemplare” unserer Gesellschaft sind, die hier die Bücher zu Mängelexemplaren machen. Ich bin ambivalent, was die Werkstätten für Menschen mit Behinderung generell betrifft. Zum einen sehe ich, wie Menschen hier ihre Wertschätzung erhalten und gesellschaftliche Teilhabe erfahren, weil sie – wie alle anderen auch – einer geregelten Arbeit nachgehen. Mir haben hier Menschen (auch mit schwererer) Behinderung schon sehr stolz gezeigt, wie sie Teile herstellen oder bearbeiten, die dann in LKWs und Bussen eines großen Herstellers verbaut werden. Jedesmal, wenn sie ein Gefährt dieser Marke sehen, sind sie stolz, weil sie daran mitgewirkt haben.

Mir ist auch klar, dass nicht jeder Mensch auf dem ersten Arbeitsmarkt richtig aufgehoben ist und dass einige eben nicht leisten können, was hier gefordert wird. Auf der anderen Seite sehe ich auch, wie ziemlich leistungsfähige Menschen jeden Tag dort gute Arbeit verrichten und dafür nur ein Taschengeld erhalten, das weit entfernt vom Mindestlohn ist. Eine größere Individualisierung wäre hier wohl eine bessere Lösung, sodass entsprechend der Stärken der Menschen ein passender Arbeitsplatz gefunden werden kann. Nur wie? Die Vermittlung von der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt wird jetzt bereits versucht, geht aber zäh und schwierig voran. Außerdem verlieren die Werkstätten dann ihre Leistungsträger*innen, was wiederum – verständlicherweise – von leitenden Angestellten dort kritisch gesehen werden kann. Außerdem kaufen sich zu viele Unternehmen noch davon frei, eine gewisse Zahl an Menschen mit Behinderung zu beschäftigen -innerhalb ihrer Strukturen. Denn so sähe echte Inklusion und Teilhabe aus.

 

4 Kommentare

  1. Dass bei Büchern Mängelexemplare extra “hergestellt” werden um die Bücher billiger verkaufen zu dürfen, wusste ich auch nicht.

  2. In meiner Jugend habe ich viel in diesen Kisten mit Mängelexemplaren gestöbert und viele schöne Funde gemacht. Die meisten hatten gar keinen erkennbare Beschädigung (aber ein paar schon, Fehlbindungen unter anderem), und ich hätte ebenfalls gedacht, dass es außer dem Stempel eigentlich gar nichts braucht, um zum Mängelexemplar ztu werden. Aber für eine reine Beschäftigungsmaßnahme ist das viel Aufwand.

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert