Betroffenheit.

Anlässlich des Literaturfestes gab es am Freitag eine Lesung von Carolin Emcke in den Kammerspielen. Klar, dass wir dabei waren! Wie erwartet las sie hervorragend, war nebenbei spritzig und witzig. Etwas ausgebremst wurde das Ganze m.E. (oder unseres Erachtens, auch der Rest unseres 6-köpfigen Grüppchens war der Meinung) durch den moderierenden Soziologen Armin Nassehi. Er gab sich voller Ehrerbietung gegenüber Emcke, was soweit führte, dass er sich ausschweifend entschuldigte, wenn sich in eine seiner Fragen nur ein Hauch Kritik hineininterpretieren ließ. Sei’s drum, es war ja irgendwie auch eine Marketingveranstaltung fürs Buch.

Doch schlimmer fand ich, dass er seine Fragen verschachtelt und mit Unmengen an Fremdwörtern und Fachbegriffen gespickt stellte. Nun halte ich mich auch nicht für die Allerdümmste, mag aber solch ungebremstes intellektuelles Geschwurbel und sophisticated name-dropping einfach nicht – schon gar nicht außerhalb des wissenschaftlichen Betriebs, wenn man doch ein breites Publikum (hier immerhin ausverkaufte Kammerspiele) ansprechen will. Man musste sich wirklich sehr anstrengen, ihm zu folgen. Eine Unterscheidung zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache finde ich sehr wichtig, für ihn schien es da keinen Unterschied zu geben. Es ist wohl wirklich eine Kunst, in hohem Maße intelligent und intellektuell zu sein und dennoch eine verständliche Sprache zu sprechen. Mein Eindruck ist  jedenfalls, dass dies im englischsprachigen Raum weitaus besser gelingt.

Wirklich wunderbar war hingegen die musikalische Begleitung durch die Cellistin Anja Lechner. Auf diesem Feld bin ich gänzlich unbewandert und war einfach nur hin und weg, welche Töne und Stimmungen von diesem einzigen Instrument erzeugt werden konnten. Hat Lust auf mehr gemacht!

Von Emckes Buch “Gegen den Hass” habe ich erst die ersten 50 Seiten gelesen und  freue mich nach der Lesung umso mehr auf den Rest. Bei der Lesung haben mich außerdem Emckes Ausführungen zum Thema Minderheiten sehr angesprochen… Sie sprach hier Dinge aus, welche ich auch so erlebe. Wenn man einer “Minderheiten-Gruppe” angehört oder ihr zugeordnet wird, nimmt man ja selbst schon eine Diskriminierung (im Sinne einer Abgrenzung von den “anderen”) vor, wenn man sich eben als Teil dieser Gruppe äußert. Sprich, wenn ich mich als lesbische Frau zum Thema Homosexualität äußere bzw. mich für diese Gruppe einsetze. Mir geht es da auch so, ich finde es oft schwer, selbst als Fürsprecherin dieser “Gruppe” aufzutreten, muss es aber doch öfter tun, als mir lieb ist. Ebenso erlebe ich das von ihr geschilderte Phänomen: Ich setze mich für andere benachteiligte Gruppen ein (in meinem Fall als Frau ohne Behinderung für Menschen mit Behinderung) und habe dann die Hoffnung, dass sich gleichermaßen auch andere (also Nicht-LGBTQI*s) für meine Gruppe einsetzen. Leider wartet man da manchmal vergeblich.

Der (leicht pathetische) Schluss der Veranstaltung mit dem Zitat aus dem letzten Kapitel (“Lob des Unreinen”) hat mir sehr gut gefallen:

Zum zivilen Widerstand gegen den Hass gehört für mich auch, sich die Räume der Phantasie zurückzuerobern. (…) Angesichts all der unterschiedlichen Instrumente und Strukturen der Macht, die Menschen marginalisieren und entrechten, geht es beim Widerstand gegen Hass und Missachtung auch darum, sich die verschiedenen Möglichkeiten des Glücklichwerdens und des wirklich freien Lebens zurückzuerobern. (…)
Zu den dissidenten Strategien gegen Exklusuion und Hass gehört deswegen auch, Geschichten vom gelungenen, dissidenten Leben und Lieben zu erzählen, damit sich, jenseits all der Erzählungen vom Unglück und von der Missachtung, auch die Möglichkeit des Glücks als etwas festsetzt, das es für jeden und jede geben könnte, als eine Aussicht, auf die zu hoffen jede und jeder ein Anrecht hat: nicht nur diejenigen, die der herrschenden Norm entsprechen, nicht nur diejenigen, die weiß sind, die hören können, nicht nur diejenigen, die sich in dem Körper, in den sie hineingeboren wurden, zurechtfinden, nicht nur diejenigen, die so begehren, wie es die Werbeplakate oder die Gesetze vorschreiben, nicht nur diejenigen, die sich frei bewegen können, nicht nur diejenigen, die den “richtigen” Glauben haben, die “richtigen” Papiere, den “richtigen” Lebenslauf, das “richtige” Geschlecht. Sondern alle.”

Dazu passend und überdies von erschreckender Aktualität war dann am Samstag der Besuch des neuen NS-Dokumentationszentrums. Wir waren mit einer Gruppe von Menschen mit und ohne Behinderung dort und bekamen eine sehr kompetente Führung, mit einem besonderen Blick auf das Thema “Euthanasie”. In der Ausstellung wird dieser Begriff synonym mit dem Begriff “Krankenmord” gesetzt. Den Mord auszusprechen, der hier geschehen ist, statt sich hinter einem lateinischen Begriff zu verstecken, finde ich wichtig. Es sollte aber dennoch wohl eher “Mord an kranken und an behinderten Menschen” heißen, wenn es auch tatsächlich die Realitäten abbilden soll. Behinderung ist keine Krankheit.
Abgesehen davon war es ein sehr interessanter Besuch – auch wenn man das Gefühl hat, schon ganz viel über diese furchtbare Zeit zu wissen, so ist es gerade heute brisant, sich vor Augen zu führen, wie es dazu kam. Immer noch ist es unvorstellbar, wie ein Kerl wie Hitler und eine Partei wie diese in so schneller Zeit einen solchen Zuspruch generieren konnte – noch dazu mit einem solchen Programm. Wenn man die heutigen Entwicklungen weltweit ansieht, mit dem augenblicklichen Höhepunkt der US-Wahl, kann einem da angst und bange werden. Wir dürfen nie vergessen und wir müssen wachsam bleiben!

„Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Primo Levi

 

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